Leobersdorferbahn

Die Leobersdorfer Bahn oder was blieb von den visionären Planungen? – Ein Reader in 4 Teilen

ÖBB Dieseltriebwagen VT BR 5047 Bahnhof Hainfeld Eisenbahn Österreich Leobersdorfer Bahn
ÖBB Dieseltriebwagen 5047 015-2 im Bahnhof Hainfeld am 25. Jänner 2009 (Foto Archiv Dr. Michael Populorum / DEEF)

Teil 1 Überblick

Zur Einstimmung: Auf nach NÖ – “Leichenflederei für Eisenbahnliebhaber”

Samstag Vormittag im November 2010 – ich sitze im Railjet (ein IC oder EC wäre mir aus Komfortgründen lieber) und eile gen Niederösterreich. Denn mit Fahrplanwechsel im Dezember soll wieder einmal eine Eisenbahnstrecke stillgelegt werden. Hatte man gehofft, dass mit Übernahme zahlreicher ÖBB-Nebenbahnen in Niederösterreich durch das Land Erfolgsgeschichten á la Pinzgaubahn, Zillertalbahn oder Vinschgerbahn (Meran-Mals) auch im Osten Österreichs Einzug halten, ist dem Optimismus nun Katerstimmung gefolgt – man ist offenbar vom Regen in die Traufe geraten.

Wurde den Niederösterreicherinnen und Niederösterreichern das Stilllegen von Nebenbahnen vorab immer damit versüßt, dass sie dann der Bus bis vor die Haustüre bringen wird, so sieht die Tatsache nach Stilllegung aktuell so aus, dass es bspw. im Mostviertel sowohl am Samstag wie am Sonntag überhaupt keinen öffentlichen Verkehr mehr gibt – eine wohl einzigartige Chuzpe für ein zivilisiertes Land.

Nun ist ein Seitenast der Leobersdorfer Bahn “dran” – nachdem schon 1988 der Seitenast von Traisen nach Kernhof gestutzt und das Streckenende von Kernhof nach Markt St. Aegyd am Neuwalde vorverlegt wurde (St. Aegyd – Kernhof ist zwischenzeitlich abgebaut), soll nun dieser Seitenast weiter amputiert werden.

Nun droht auch der Bevölkerung dort die gleiche Verschlechterung in der Anbindung an den öffentlichen Verkehr wie sie mir bei Gesprächen (2008) die Kernhofer- und Kernhoferinnen geklagt hatten. Um für meine Leserinnen und Leser noch ein Bild von der aktiven Strecke wiedergeben zu können eile ich also (im RJ und nicht im bequemeren EC/IC) gen St. Aegyd…..


Die Leobersdorfer Bahn als Überbleibsel eines größeren (geplanten) Ganzen

Unter Leobersdorfer Bahn (auch als Niederösterreichische Südwestbahn bezeichnet) versteht man im engeren Sinne eine Regionalbahnstrecke von St. Pölten (an der Westbahn) via Traisen –  Hainfeld – Weißenbach-Neuhaus nach Leobersdorf (an der Südbahn gelegen). Sie ist in der Gesamtstrecke 75 km lang, wobei die Kilometrierung in Leobersdorf beginnt.

ÖBB Dieseltriebwagen BR 5047 Bahnhof Traisen Leobersdorfer Bahn Eisenbahnstrecke Österreich
ÖBB BR 5047 in 3-fach-Traktion im Bhf Traisen, dem Umsteigebahnhof Richtung Hainfeld bzw. Richtung Schrambach am 13. November 2010 (Archiv Dr. Michael Populorum / DEEF)

Die Eröffnung des Streckenabschnitts Leobersdorf – Kaumberg erfolgte im September 1877, die Reststrecke bis St. Pölten wurde im Oktober des selben Jahres eröffnet.

Errichtet wurde die Bahn von privaten Geldgebern, die als Aktiengesellschaft unter dem Namen “k.k. priv. Niederösterreichischen Südwestbahnen” (NÖSWB) firmierten. Jedoch schon 1878 übernahm der Staat aufgrund von Finanzierungsproblemen des privaten Konsortiums die Endfinanzierung sowie den Betrieb und der Name änderte sich in “k.k. niederösterreichische Staatsbahnen”.

Der Zwecke der Bahn war einerseits eine Verbindung von West- und Südbahn, andererseits ist sie als wichtige Infrastrukturmaßnahme für die traditionelle (eisenverarbeitende) Industrie bzw. Gewerbebetriebe zu sehen. Erst an dritter Stelle diente (e) sie dem Personenverkehr vor Ort, also dem Ziel-/Quellverkehr im Traisental, Gölsental und Triestingtal.

Gleichzeitig mit den Planungen und der Konzessionierung der Leobersdorferbahn sowie auch noch in späteren Jahren wurden ausgehend von diesem Hauptast noch weitere Linien projektiert und teilweise auch gebaut. Folgende Strecken sind in diesem Kontext zu betrachten:

Hauptast Leobersdorfer Bahn, Leobersdorf (Südbahn) – St. Pölten (Westbahn), 75 km, eröffnet 1877 durch NÖSWB (1878 verstaatlicht)

Seitenast Traisen (vormals Scheibmühl) – Schrambach (8,6 km, eröffnet 1878) – Freiland – St. Aegyd am Neuwalde – Kernhof (34,3 km von Traisen, eröffnet 1893) durch die Staatsbahn

ÖBB Leobersdorferbahn Eisenbahn Dieseltriebwagen 5047
ÖBB Dieseltriebwagen 5047 047-5 im Bahnhof Lilienfeld auf der Fahrt nach Schrambach (30.3.2019)

Seitenast Freiland – Türnitz (9,2 km, eröffnet 1908, errichtet in Hinblick auf eine Verlängerung nach Mariazell von den Niederösterreichischen Landesbahnen, 1921 verstaatlicht

ÖBB Postbus
Ankunft im Bahnhof Türnitz – mit dem Postbus von Lilienfeld aus (Sommer 2014)

Nicht verwirklichte Projekte

Nicht verwirklicht wurden die Verlängerung der Linien von Kernhof und Türnitz Richtung Westen mit Anschluss an die Mariazellerbahn sowie von dort weiterführend ins steirische Mürztal via Wegscheid – Au-Seewiesen – Aflenz – Kapfenberg (Thörlerbahn).

Weiters die Strecke (tw. mit Zahnstangen) St. Aegyd – Terz – Mürzsteg – Neuberg – Mürzzuschlag??

Leobersdorferbahn Skizze
Übersichts-Skizze “Leobersdorfer Bahn im regionalen Kontext”. Quelle: Elmar Oberegger 2008

An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass die Niederösterreichischen Südwestbahnen auch noch die Gutensteinerbahn (Wittmannsdorf – Piesting – Gutenstein) sowie die Erlauftalbahn (Pöchlarn – Scheibbs – Kienberg-Gaming) umfassten.


Die Situation heute und die Befürchtungen für morgen

Das Streckennetz der Leobersdorfer Bahn sowie ihre 2 Seitenäste ist durch staatlich verursachte Amputationen (Österreichische Staatsbahn ÖBB) heute deutlich kleiner als zur Zeit der größten Ausdehnung.

Hauptast:
Es gibt keinen durchgehenden Verkehr mehr, also West- und Südbahn sind nicht mehr verbunden. Personenverkehr hat es von Leobersdorf bis Weißenbach-Neuhaus (km 19,1).

Seit Dezember 2004 Lücke zwischen Weißenbach-Neuhaus (km 19,1) und Hainfeld (km 43,9), also über den Gerichtsberg (Wasserscheide Piestingtal – Gölsental, Gerichtsberg-Tunnel mit einer Länge von 168m).

Der Güterverkehr wurde schon vorher (2001) eingestellt.

Zuletzt verkehrte 2005 sonntags ein planmäßiger Nostalgiezug namens “Triestingtal-Express”.

Von Hainfeld (km 43,9) bis St. Pölten (km 75,3) Taktverkehr (wochentags meist stündlich). Von den ursprünglich 75,3 km werden also nur mehr 50,5 km befahren.

Seitenast Traisen – Kernhof (Traisentalbahn):
Ursprünglich 34,3 km lang wurde die Strecke 1988 amputiert, der heute Endpunkt (2020) in Markt St. Aegyd am Neuwald liegt bei km 29,5 (minus 4,8 km, Gleise abgetragen). Mit Fahrplanwechsel 2010/11 am 13. 12. 2010 soll die Strecke weiter amputiert werden, als Endpunkt für den Personenverkehr ist Schrambach (km 8,6) im Gespräch. Somit bliebe nur ein Torso der Strecke übrig.

Nachtrag: Amputation erfolgt, Endpunkt für den Personenverkehr durch die ÖBB ist seit Herbst 2010 Schrambach, die Gleise liegen allerdings noch bis St. Aegyd am Neuwald und werden durch private Betreiber zur Holzbringung genutzt.

Seitenast Freiland – Türnitz:
Ursprünglich 9,2 km lang wurde die Strecke mit Juni 2001 komplett stillgelegt. Noch liegen die Gleise (2010), sollen aber Gerüchten zufolge einem Radweg weichen. Womit die Radlfahrer dann retourfahren das wissen wohl nur die niederösterreichischen Politiker und Tourismus-“Experten”.

Somit ergibt sich folgende Situation bei der Leobersdorferbahn:

  • Ursprüngliches Streckennetz 118,8 km
  • Heutiges Streckennetz (Sommer 2010) mit Personenbeförderung: 80,0
  • Ab 13.12.2010 – Streckenlänge mit Personenbeförderung nur mehr 59,1 km

Wie hier ein klimaneutrales Handeln der ansässigen Bevölkerung sowie ein “sanfter, ökologischer Tourismus” funktionieren sollen das bleibt wohl nicht nur mir als Chefredakteur von DEEF ein Rätsel.

Zumindest dieses Netz sollte nachhaltigen Bestand haben. Aber man weiß ja  nie – bspw. wenn im Rahmen der “Klimahysterie” die nicht elektrifizierten Strecken verteufelt und aufgrund der Elektrifizierungskosten die Dieselstrecken dann stilllegt werden. Dabei haben Dieselstrecken durchaus ihre Vorteile, bspw. fallen keine Bäume nach Stürmen in die Oberleitung und vom Blackout sind Dieseltriebwägen auch nicht betroffen…..


Leobersdorfer Bahn – Die 4 Teile des Readers

siehe unter Links

Leobersdorferbahn ÖBB St. Aegyd am Neuwald
ÖBB BR 5047 in der Endhaltestelle Markt St. Aegyd 2010 (Archiv Dr. Michael Populorum)

Links

DEEF Doku Leobersdorfer Bahn Teil 1 – Überblick >>>

DEEF Doku Leobersdorfer Bahn Teil 2 – Hauptast Leobersdorf – Weißenbach-Neuhaus – Gerichtsberg – Hainfeld – Traisen – St. Pölten >>>

DEEF Doku Leobersdorfer Bahn Teil 3 – Traisentalbahn Traisen – Lilienfeld – Schrambach – Freiland – St. Aegyd am Neuwald – Kernhof >>>

DEEF Doku Leobersdorferbahn Teil 4 – Seitenast Freiland – Türnitz >>>

DEEF-Doku Industrie- und Feldbahnmuseums in Freiland >>>


Text / Fotos / Videos copyright DEEF / Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum.

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Bericht von: Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum, Chefredaktor Railway & Mobility Research Austria / DEEF # Railways & Ropeways of Europe

Erstmals Online publiziert: 14.  November 2010;  Relaunch der Seite 16.7.2024; Letzte Ergänzung / page last modified 16.7.2024