Brennerbasistunnel

Thema Neubauprojekte – Der Brennerbasistunnel (BBT): Ein Segen für die Tiroler und/oder ein “Milliardengrab” für die Republik?

A: Die Infopoints

“Es ist allen Beteiligten ein großes Anliegen, die Bauarbeiten und das Projekt Brenner Basistunnel so transparent wie möglich abzuwickeln. Aus diesem Grund wurde am Innsbrucker Hauptbahnhof der Infopoint der BBT SE errichtet”.

Soweit die einleitenden Worte am aufgelegten Flyer. Die Einsicht, dass die Bevölkerung in ein so großes Projekt wie den BBT (immerhin mind. 8 Milliarden Baukosten) miteinbezogen werden soll, war nicht immer vorhanden, ist aber äußerst wichtig und der richtige Weg – was passiert, wenn man das nicht macht und meint, über die direkt betroffene Bevölkerung “drüberfahren zu können”, das musste vor Jahren die Hochleistungs-AG erfahren, als sich der Bürgerzorn wegen der geplanten aber nicht kommunizierten Routenführung der Westbahn im Raum Seekirchen derart entlud, dass das Projekt nachhaltig be-/verhindert wurde.

Der Infopoint im Innsbrucker Hbf (Foto Dezember 2010)
Der Trassenverlauf des BBT im Überblick

Neben einer Übersichtsluftbildkarte mit dem aktuellen Stand der Planungen bzw. bereits erfolgten Umsetzungen gibt es einige Info-Flyer mit allgemeinen Infos zum BBT, zur Brenner Basistunnel Gesellschaft, zur Geologie, zum Umweltschutz sowie zur Verkehrspolitik und der Bedeutung des BBT im Rahmen der Gesamteuropäischen Eisenbahninfrastruktur. Sehr anschaulich sind die grossflächig projezierten Luftbildkarten, wo sowohl die Planungen der Tunnelstrecke samt nörlichen und südlichen Zulaufstrecken abgebildet sind als auch farblich der aktuelle Stand der Umsetzung.

Als Pedant zum Infopoint in Innsbruck wurde am 9.11.2007 auch eine Beobachtungsstelle und Infopoint in Südtirol, genauer gesagt in Franzensfeste direkt am Bahnhof, eröffnet.

Hinweisschild zum BBT-Infopoint in Franzensfeste (26.5.2011)
Im Infopoint Franzensfeste (26.5.2011)

B: Die bestehende Brennerbahn

Die Brennerbahn ist eine normalspurige, zweigleisige und heute elektrifizierte Eisenbahnstrecke von Innsbruck durch das nordtiroler Wipptal auf den Brennerpass und von dort südwärts durch das Eisacktal in die südtiroler Provinzhauptstadt Bozen. Die Strecke wurde 1864 bis 1867 von der k.k. priv. Südbahngesellschaft errichtet. Als Erbauer gilt Ing. Karl von Etzel, dessen Denkmal sich im Bahnhof Brenner befindet.

Seit der Besetzung und Annektierung Südtirols durch Italien im Gefolge des 1. Weltkriegs verläuft am Brenner nun die Staatsgrenze zwischen Österreich und Italien. Der Brennerpass mit seinen 1370 m Höhe ist zwar der höchste Normalspurbahnhof der ÖBB, gleichzeitig aber die niedrigste Alpentransversale Nord-Süd, also der Verbindung zwischen dem süddeutschen-österreichischen Raum und Südtirol und Norditalien.

Durch diese orographische Begünstigung war der Brenner seit Urzeiten schon ein bevorzugter Alpenübergang. Dennoch ist die Bahn als Gebirgsbahn zu klassifizieren – die maximale Neigung beträgt 25 Promille, der minimale Radius 264 Meter. Zahlreiche Kunstbauten in Form von Tunnels (Kehrtunnels) vor allem auf der Nordrampe waren nötig, um Voraussetzungen für den Betrieb als reine Adhäsionsbahn zu ermöglichen.

Die Streckenlänge Innsbruck nach Bozen beträgt ca. 125 Kilometer.

Höhenprofil der Brennerbahn nach Freiherr Victor v. Röll

Die Elektrifzierung gestaltete sich schwierig – aus militärischen Überlegungen heraus war man seitens Italiens immer bestrebt, nicht das selbe Stromsystem zu verwenden wie nördlich des Brenners üblich. So ist bis heute der Bahnhof Brenner Trennstelle zweier unterschiedlicher Stromsysteme – im Norden Wechselstrom 15 kV 2/3 Herz, im Süden Gleichstrom mit 3000 Volt. Für moderne E-Loks wie die der “Taurus-Familie” bzw. “Eurosprinter” (“Mehrsystemlokomotiven”) stellt dieser Fakt allerdings kein Problem mehr dar, sprich es entfällt der früher notwendige Lokwechsel im Bahnhof Brenner/Brennero zugunsten einer schnelleren Reisezeit.

Während auf der Nordrampe der alten Brennerbahn keine wesentlichen Modernisierungsmaßnahmen erfolgten, sind in den letzten Jahren in Südtirol einige Streckenoptimierungen durchgeführt worden. Dabei sind vor allem 3 Neubautunnel von Bedeutung, die ein grösseres Lichtraumprofil aufweisen und höhere Streckengeschwindigkeiten zulassen – entlang der alten Strecke mit den alten Tunneln führt heute ein Radweg (>>> Bericht von der eisenbahnarchäologischen Wanderung >>>)

  • Neubautunnel 1: Schlerntunnel zwischen Waidbruck und Blumau, seit 1994, Länge 13.307 m
  • Neubautunnel 2: Kardauntunnel zwischen Blumau und Kardaun, seit 1998, Länge 3.939 m
  • Neubautunnel 3: Pflerschertunnel zwischen ehemaliger Station Brennerbad und Gossensass, seit 1999, Länge 7.343 m

Trotz dieser Baumaßnahmen im Süden sowie der vom Güterverkehr auf Nordtiroler Seite bereits seit 1994 genutzten Umfahrung Innsbruck (Fritzens-Wattens im Inntal bis Gärberbach an der Brennerbahn im Wipptal) durch den 12.696 m langen Inntaltunnel (bei Errichtung längster Eisenbahntunnel Österreichs) stellt die alte Brennerbahn zumindest in ihrem jetzigen Bauzustand das größte Nadelöhr der Achse Berlin – Palermo (TEN 1) dar. Zur Beseitigung dieses Nadelöhrs soll der Brennerbasistunnel samt Zulaufstrecken im Norden und Süden errichtet werden, womit dann eine 3. moderne Alpentransversale neben den beiden NEAT-Achsen in der Schweiz (Lötschberg-Simplon und Gotthard-Basistunnel) verfügbar wäre.


C: Der geplante Brennerbasistunnel als Kernstück des TEN Nr. 1 Berlin – Palermo:

Das EU-Projekt Nummer 1 der Transeuropäischen Netze (TEN 1) sieht eine ca. 2200 km lange Nord-Süd-Hochgeschwindigkeitsverbindung von Berlin bis nach Palermo auf Sizilien vor. Zielsetzung wie bei allen EU-TEN-Projekten ist das Zusammenwachsen des Binnenmarktes durch schnelle Verbindungen für den Transport von Gütern und Personen. TEN 1 tangiert die Länder Deutschland, Österreich sowie Italien. Besondere Bedeutung im Streckenverlauf kommt dabei einer Beschleunigung sowie Kapazitätssteigerung bei der Querung der Alpen zu. Der 55 km lange Brennerbasistunnel als grenzüberschreitendes Infrastrukturprojekt der neuen Brennerbahn als Kernstück des Eisenbahnkorridors München – Verona ist dabei das zeit- und kostenintensivste Einzelprojekt, gefolgt von der geplanten Brücke über die Strasse von Messina (Kalabrien-Sizilien).

Karte ausgewählter TEN-Netze Eisenbahn (Quelle EU)

Während zahlreiche Abschnitte des TEN 1 in Deutschland, Österreich sowie Italien bereits fertig ausgebaut wurden bzw. im Bau sind (in Österreich Unterinntalbahn, Umfahrung Innsbruck), wurde mit dem Bau des BBT – von einigen Erkundungsstollen sowie Zulaufstrecken abgesehen – noch immer nicht begonnen. Dies liegt nicht an den Ingenieuren oder Technikern – beim Know How im Tunnelbau ist Österreich Weltspitze und gröbere geologische Probleme sind aufgrund der Erkenntnis durch zahlreiche Kernbohrungen nicht zu erwarten – sondern an der Finanzierung. Immerhin soll der Bau alleine des Tunnels mindestens 8 Milliarden Euro kosten. Trotz geplanter Beteiligung der EU mit 50% an den Planungs- und Erkundungskosten sowie einer Beteiligung am Bau (? 27% ?) fallen für Italien und Österreich mindestens je 2-3 Milliarden Euro an Kosten an, eine Summe, die in Zeiten leerer Staatskassen doppelt wiegt.

Kostenvergleiche:

  • Brennerbasistunnel: 55 km, geschätzt 8 Milliarden Euro
  • Kosten des 34,6 km langen und 2007 eröffneten Lötschbergbasistunnels: ca. 4,2 Milliarden Franken
  • Geschätzte Kosten des 57 km langen Gotthardbasistunnels: 12 Milliarden Franken. Nach der Innbetriebnahme wird bis zum Jahr 2070 mit einem betriebswirtschaftlichen Verlust von 10-24 Milliarden Euro gerechnet.
Der BBT und die im Bau befindlichen sowie noch geplanten Optimierungen der nördlichen und südlichen Zulaufstrecken. Ua. wird im Bahnhof Franzensfeste im Anschluss an den BBT die Strecke in den zu errichtenden “Schalderertunnel” verlegt

Einige Eckdaten (Quelle BBT SE):

  • Länge neue Brennerbahn München – Verona: 425 km
  • Länge Brenner Basistunnel Portal Tulfes bis Portal Franzensfeste: 62,7 km (Somit längster Eisenbahntunnel der Welt)
  • Länge Basistunnel Portal Innsbruck bis Portal Franzensfeste: 55 km
  • Längsneigung: 4,00‰ – 6,70‰
  • Mindestradius: 1.270 m
  • Betriebsgeschwindigkeit für Güterverkehr: 100 – 120 km/h
  • Bahnstromversorgung: 25 kV 50 Hz
  • Zugsicherungssystem: ETCS Level 2
  • Leitstelle: In Innsbruck
  • Kapazität: Bis 400 Züge täglich (nur Güterverkehr), ca. 300 im Mischverkehr. Prognostiziert werden 5 Jahre nach Betriebsbeginn 201 Güterzüge im Basistunnel, 22 auf der alten Strecke, davon keiner mehr in der Nacht
  • Schienenoberkante Portal Innsbruck: 608,80 m
  • Schienenoberkante Hochpunkt: 794,00 m
  • Schienenoberkante Portal Franzensfeste: 747,20 m
  • Querschnitt Haupttunnel: Sprengvortrieb – TBM Vortrieb: 64,05m² – 79,44 m²
  • Querschnitt Entwässerungsstollen: 21,05 m²
  • Deponieanteil vom Aushub: ca. 75%
  • Vorgesehenes Deponievolumen: ca. 17 Mio. m³
  • Bauphase: 2010 – 2022 (Anmerkung DEEF: sehr optimistische Annahme, Stand 2011. Stand 2020 ist mit einer Inbetriebnahme nicht vor 2028 zu rechnen)
BBT und alte Bestandsstrecke, Quelle Graphik BBT SE)

Zuständig für Planungen, Genehmigungen und Bau des BBT: Die Brenner Basistunnel Gesellschaft. Diese ist eine 2004 gegründete europäische Aktiengesellschaft (“Galleria di Base del Brennero – Brenner Basistunnel BBT SE”). Jeweils 50% werden von Österreichischen und Italienischen Gesellschaftern gehalten – für Österreich sind das zu je 25% die ÖBB und das Land Tirol.

Der Basistunnel verläuft am 1.371 m hohen Brennerpass in einer Tiefe von 580 Meter. Der Tunnel besteht aus 2 eingleisigen Tunnelröhren sowie einem 12 m darunter mittig verlaufenden Erkundungsstollen, der auch der Entwässerung dient. Die 70 m auseinanderliegenden Tunnelröhren werden alle 333 m durch Querstollen (Sicherheit!) verbunden. 3 Multifunktionsbereiche in Innsbruck, St. Jodok und Trens ermöglichen den Wechsel der Tunnelröhren.

Quelle BBT SE
Nördlicher Zulaufstollen (“Erkundungsstollen Innsbruck-Ahrental”) vom Bahnhof Kreith an der Stubaitalbahn aus im Dezember 2010 fotographiert
Plakat im Info Point BBT im Innsbrucker Hauptbahnhof

Im November 2010 konnte der 1. Durchschlag gefeiert werden, nämlich im Erkundungsstollen Aicha-Mauls.

Um eine neue Verkehrspolitik – Stichwort “Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene” – länderübergreifend umsetzen zu können, wurde 2007 die “Brenner Corridor Platform” (BCP) gegründet. Die BCP ist international und fachspezifisch besetzt. Vertreten sind darin Vertreter Deutschlands, Österreichs und Italiens, die Regionen Bayern, Nordtirol, Südtirol, Trentino und Verona, sowie die Eisenbahnbetreiber der drei betroffenen Staaten. Ziel ist es, Modelle für die Optimierung des Warentransportes auf der Achse München-Verona zu erarbeiten – mit dem Schwerpunkt Verlagerung auf die Schiene. Überdies werden Rahmenbedingungen für die Bestands- und die neue Strecke erarbeitet und auf einander abgestimmt. Das von der BCP erstellte “Aktionsprogramm 2009-2022” wurde im Mai 2009 in Rom unterzeichnet.

Linktip: Infoseite der BBT SE – sehr gut und transparent aufbereitete Infos und Fotos / Graphiken >>>  Dort auch weitere Links.


D: Zur Planung und Steuerung von Infrastrukturprojekten – Einige Gedanken

  • Grundsätzlich sind bei Infrastrukturprojekten in dieser Grössenordnung fundierte und seriöse Kosten-Nutzen-Analysen anzustellen. Insbesondere in Zeiten leerer Kassen ist dies unumgänglich
  • Alternativ-Szenarien sind anzudenken und durchzurechnen. Machbarkeitsstudien sind wichtig und wurden auch im gegenständlichen Projekt gemacht, aber dabei gehen oft alternative Idee verloren. Nicht alles was machbar ist ist in Summe nachhaltig und wünschenswert!
  • Projeke wie der BBT dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sie sind in einem nationalen/internationalen Kontext zu sehen
  • Die Festschreibung in einem Masterplan und dessen regelmässige “Wartung” (sprich Aktualisierung/Nachjustierung) ist unbedingt notwendig, damit das Projekt dem Zeitgeist, der Willkür der (sich eventuell ändernden) politischen Landschaft sowie anderer störender Einflüsse (wie bspw. der Agitation einer im wahrsten Sinne des Wortes “kleinformatigen” Zeitung) entzogen ist

Exkurs Masterplan:

Für jeden Bereich menschlichen Zusammenlebens, der von der Politik gestaltet werden soll, braucht man ein Grundkonzept, eine generelle Vorstellung dessen, was man in dem betreffenden Politikfeld überhaupt erreichen will. Mit anderen Worten sind eine Vision und strategische Oberziele nötig, die die Grundlage für alles bilden, was in diesem Bereich geschieht. Ohne diese strategischen Oberziele verkümmert Politik zu einer Ansammlung unzusammenhängender Einzelmaßnahmen. Mögen die eingesetzten Werkzeuge noch so gut konzipiert sein, als isolierte Maßnahmen bringen sie keinen echten Erfolg.

Der Masterplan ist ein Werkzeug, das unabhängig von politischen Trends und Modeerscheinungen, alle für eine bestimmten Infrastrukturbereich relevanten Projekt erfasst und diese in einen größeren Systemzusammenhang stellt und bewertet.

Masterpläne sind Werkzeuge der vierten Planungsgeneration. Sie unterscheiden sich von der bisherigen Planungskultur durch folgende Merkmale:

  • Abrücken von der Leerformel „rationale“ Planung und Erkennen der Komplexität der Planungsaufgaben. Früher lautete das Motto: There are no problems, only solutions! Heute hingegen weiss man: Behind every solution is a problem!
  • Mehr Transparenz und bessere Kommunikation zwischen Beteiligten und Betroffenen.
  • Arbeiten mit dem Modulprinzip: Erarbeitung überschneidungsfreier Bereiche, Beachtung der Schnittstellen zwischen den einzelnen Modulen
  • Vernetzung aller Planungsbereiche und Arbeiten mit systemischen Verfahren, um Widersprüche und Beschränkungen („constraints“) bereits in einem frühen Planungsstadium aufzudecken.
Die unterschiedlichen Perspektiven der Planung

Masterpläne gibt es

  1. auf Unternehmensebene: z.B.Masterplan für den Salzburg Airport
  2. für einzelne Infrastrukturbereiche: zB Masterplan für den Verkehr in einer Region
  3. für eine Region: z.B. wenn Bereichspläne auf einer höheren Stufe nochmals überprüft und koordiniert und zu einem regionalen Masterplan verschmolzen werden. Ein regionaler Masterplan ist quasi die akkordierte Willenserklärung einer Stadt bzw. Region
  4. auf nationaler Ebene: z.B. Österreichischer Masterplan 2010 für den Verkehr
  5. im supranationalen Kontext: z.B. Pläne des IMF zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte.
  6. Anhand von Masterplänen erfolgt eine Optimierung der wirtschaftlichen Ressourcen. Die Knappheit der Ressourcen zwingt die öffentlichen Haushalte zu einer Bedarfsprüfung, einer sorgfältigen Projektauswahl und Projektüberprüfung.

(Nach Alfred Kyrer, Michael Populorum, 2008: Trends und Beschäftigungsfelder im Gesundheits- und Wellness-Tourismus. Seite 23ff. LIT-Verlag, ISBN 978-3-8258-1368-0).

  • Der Nutzen für die Republik sowie der unmittelbar vor Ort betroffenen Bevölkerung muss an oberster Stelle stehen – liegt der zu erwartende Nutzen grossteils ausserhalb der Region oder der Republik, so ist das Projekt – unter Einhaltung der Rechte der Betroffenen sowie der Wahrung / Verbesserung deren Lebensqualität – von denen zu bezahlen, die den Nutzen davon haben (für den BBT: u.a. EU, Italien)
  • Steuergelder sind nicht dazu da, regelmässig die “Baumafia” zu bedienen. Hoher Maschineneinsatz sowie “Scheinselbständige” aus dem Ausland gewährleisten weder eine nachhaltige Belebung der Konjunktur noch sind sie arbeitsmarktpolitisch gesehen von grosser Wirkung
  • Es muss sichergestellt werden, dass Bauwerke dieser Grössenordnung nach Errichtung auch die entsprechende Auslastung aufweisen (Stichwort: Tauernbahn, Pontebbana)
  • Governance als neues strategisches Steuerungs-Tool mit einer systemischen Beeinflussung von Strukturen und Prozessen sollte der methodische Ansatz bei Planung und Umsetzung sein

Exkurs Governance

Grundsätzlich beschreibt der Begriff Governance einfach den Umstand, dass eine Stadt, eine Region, ein Land etc. nicht hierarchisch von einer Gruppe von Akteuren gesteuert werden kann, sondern dass eine positive Entwicklung nur möglich ist, wenn es zu einem Zusammenspiel vieler Akteure mit unterschiedlichen Interessen kommt und es gelingt Netzwerke zu entwickeln, die auf gegenseitigem Vertrauen aufbauen und nach bestimmten Spielregeln ablaufen.

Hinter dem Begriff Governance verbirgt sich letztlich die Suche nach neuen Formen des politischen Regierens auf lokaler, regionaler, nationaler, supranationaler und globaler Ebene und den damit verbundenen Koordinationsproblemen („Multilevel Governance“).

Die 7 K der Governance:

  1. Kontext (Effektivität, Effizienz und Nachhaltigkeit)
  2. Koordination (der Ziele, der Instrumente, der Schnittstellen)
  3. Kohärenz (zur Aufdeckung von systemimmanenten Widersprüchen)
  4. Kooperation (z.B. Kooperation der Sozialpartner über Netzwerke, Public Private Partnerships, Clusters, Kooperation mit Kunden, etc)
  5. Konkurrenzbeobachtung (Benchmarking, Benchlearning, Best Practice etc)
  6. Kontrolle (Qualitätssicherung, Professionalisierung, Kontrolle bei der Umsetzung von Projekten und Programmen)
  7. Kommunikation (mit Beteiligten, mit Betroffenen, mit der Öffentlichkeit, wo es sich um Public Affairs handelt).

Der wesentliche Kontext lässt sich anhand von 3 Kriterien, die untereinander vernetzt sind, darstellen:

Kriterium 1: Effektivität. Welche Ziele sollen konkret verfolgt werden? Wie überprüft man die Zielerreichung?

Kriterium 2: Effizienz. Zu welchen Kosten erreicht man die definierten Ziele (Wirtschaftlichkeit der Projekte)

Kriterium 3: Nachhaltigkeit. Alle Massnahmen, die die Effektivität und die die Effizienz fördern, müssen so angelegt sein, dass sie eine nachhaltige Strukturverbesserung gewährleisten

(nach Alfred Kyrer, Michael Populorum, 2008: Trends und Beschäftigungsfelder im Gesundheits- und Wellness-Tourismus. Seite 18ff. )

Die Vernetzungen bei Projekten lassen sich durch das “Governance-Rad” abbilden. Das Governance-Rad ist im Grunde ein „Fragengenerator“, der sicherstellen wird, dass kein wesentlicher Aspekt der Rationalisierung / Optimierung übersehen wird. (Abbildung Governance-Rad mit ausgewählten Vernetzungspfaden, nach Kyrer/Populorum 2007)

Das Governance-Rad nach Alfred Kyrer und Michael Populorum, 2008. Graphik entnommern dem bis dato unveröffentlichten Beitrag von Michael Populorum zur Military Governance: “Das Österreichische Bundesheer – vom Think Tank zum Sinktank”

Bezogen auf den BBT muss man sich u.a. folgende Fragen stellen:

Besteht aufgrund des aktuellen Verkehrsaufkommens sowie seriöser Hochrechnungen hinsichtlich des mittel- und langfristigen Verkehrsaufkommens überhaupt der Bedarf nach so einer Hochleistungsstrecke? Die Tauernbahn wurde mit hohem Mitteleinsatz (Kunstbauten) grossteils 2-gleisig ausgebaut, das Verkehrsaufkommen ist aber augenscheinlich deutlich gesunken. Regionalzüge gibt es überhaupt nicht mehr und ein signifikanter Fahrzeitgewinn ist nicht gegeben. Die Pontebbana (Tarvis – Udine) wurde um mehr als 1 Milliarde Euro grossteils neu trassiert, ein deutlicher Fahrzeitgewinn wäre hier im Vergleich zur alten Strecke gegeben – allerdings verkehrt seither aufgrund einer nachhaltigen Verhinderungspolitik seitens der italienischen Trenitalia/FS kein einziger Eurocity mehr am Tag auf dieser Strecke. Fahrgäste nach Udine oder Venedig müssen jetzt in Villach in den Autobus umsteigen. Auch der Regionalverkehr ist bescheiden. Vereintes Europa 2011!

Sollte tatsächlicher Bedarf bestehen, so sind alternative Varianten anzudenken und durchzurechnen. Wie sieht es mit einem Ausbau der alten Strecke aus – muss es wirklich diese grosse und teure Tunnelvariante sein, die ohnehin erst in mehr als 10-15 Jahren zur Verfügung stehen wird?

Wie ist das mit den Gesamtkosten wirklich? Wie hoch sind sie seriöserweise anzusetzen? Und wer finanziert konkret wieviel? Am 23.2. stand in der Zeitung “Die Presse” auf Seite 19 zu lesen, dass es ja bereits bevor überhaupt zu Bauen begonnen wurde schon zu einer deutlichen Erhöhung der prognostierten Kosten gekommen ist. Im Jahr 2000 schätzte man die Gesamtkosten auf 4,5 Mrd. Euro, 2006 auf 6 Mrd. und jetzt ist man bei 8 Mrd. Euro angelangt. Wohlgemerkt ohne die dann während des Baus “üblicherweise” auftretenden Kostensteigerungen inkl. Inflation sowie ohne die Finazierungskosten. In Summe schätzten Bahnexperten die Gesamtkosten schon vor Jahren auf mind. 15 Mrd. Euro. Finanziert soll das werden je zu einem Drittel von Österreich, Italien und der EU. Bis 2015 hat die EU jedoch nur 800 Mio fix zugesagt, der Rest muss erst in der nächsten Finanzierungsperiode entschieden werden. Die bereits hoch verschuldete Staatsbahn soll den Österreichanteil mit seriös geschätzten 5 Milliarden Euro auf Pump stemmen, der österreichische Steuerzahlen muss diesen gewaltigen Brocken dann zurückzahlen. Zu einer Zeit also, wo weder die Herrschaften in Brüssel noch die handelnden Personen in Wien voraussichtlich die selben sein werden. Österreich ist gut beraten, hier nicht auf “Gut Glück” oder in “treuem Gehorsam” oder gar “in blindem Vertrauen” zu agieren, sondern hier hieb- und stichfeste Verträge zu schliessen, in denen ALLE Eventualitäten abgesichert sind.

Unter tatsächlichem Bedarf darf nicht verstanden werden, dass manche Unternehmer bzw. die Frächterlobby die mit Steuergeldern finanzierten Infrastruktureinrichtungen als günstigen Lagerraum missbrauchen, wo Waren durch halb Europa hin- und hergekarrt werden, weil dies billiger ist als die Waren zwischenzulagern

Im Sinne eines nachhaltigen ökologischen Wirtschaftens sollte Verkehr – ausgenommern der Fremdenverkehr – auf ein Mindestmass reduziert werden. Wohnen und Arbeiten, Produktion und Konsum sollten möglichst in der selben Region erfolgen. Aktionen wie Nordseekrabben zum pulen im LKW nach Marokko zu karren und am nächsten Tage wieder nach Norddeutschland oder Holland zurück oder giftgespritzte Tomaten aus Südspanien nach Österreich zu karren et. al., solche Aktivitäten müssen möglichst unattraktiv gestaltet werden. Aber in der Praxis passiert ja oft das Gegenteil, die EU fördert ja oftmals noch solchen Unfug.

Die Anwohner an den bestehenden Verkehrswegen besonders im Inntal, Raum Innsbruck sowie Wipptal (Innsbruck-Brenner) sind aktuell äusserst negativen Umwelteinflüssen ausgesetzt (Lärm, Luftschadstoffe). Eine Verlagerung vor allem des Schwerverkehrs auf die Schiene wäre ein deutlicher Gewinn an Lebensqualität für die dort ansässige Bevölkerung sowie eine Attraktivierung im touristischen Segment. Zusätzliche Lärmschutzmassnahmen entlang der Schiene erhöhen die Lebensqualität weiter. Lässt sich das nur durch eine grosse Lösung, durch den BBT, erreichen?

Im Gegensatz zur Schweiz schaffte es Österreich wenn überhaupt so nur partiell, LKW in grösserem Masse von der Strasse auf die Schiene zu bringen. Einerseits aufgrund Halbherzigkeit in der Politik, es fehlen die konkreten Vorgaben und “Zwänge”, andererseits durch Unflexibilität und Desinteresse seitens der Staatsbahn. Wie soll das in Zukunft gelöst werden? Man stelle sich vor, der Tunnel ist fertig und keiner fährt durch – die LKW´s brausen weiter auf der Autobahn oder Bundesstrasse durch das schöne Land Tirol statt dass sie auf die Schiene verladen sind. Geschweige denn, dass überhaupt der Güterverkehr auf die Schiene verlagert wird, ohne LKW. Schon zu Beginn des Eisenbahnzeitalters wehrten sich die Fuhrleute wo es ging gegen die Konkurrenz des “Dampfrosses”, oft mit Erfolg und negativen Folgen bis heute (bspw. Stationen weit ausserhalb der Orte). Ohne flankierende Massnahmen, ohne “Zwänge”, erstens den Verkehr überhaupt auf ein notwendiges Mindestmass zu reduzieren und zweitens den notwendigen Verkehr auf die Schiene zu fokussieren, kann man nicht von einer nachhaltigen Entwicklung sprechen. Also: Wie soll gewährleistet sein, dass der Verkehr nach Fertigstellung des BBT auch durch diesen tatsächlich fliesst?

Denn: Ohne primären Nutzenzuwachs für die Tiroler Bevölkerung sowie den Fremdenverkehr in der Region muss man sich die Frage stellen, ob die österreichischen Steuergelder nicht in anderen innerösterreichischen Bahnprojekten besser – sprich nachhaltiger – investiert wären. Zum einen herrscht Kahlschlag bei den Nebenbahnen, die Qualität des Reisens im Inland sinkt und gleichzeitig würden Milliarden in wenige Grossprojekte investiert, die primär dem Nutzen anderer dienen – das wäre nicht passend. Wer den grössten Nutzen vom BBT hat der muss auch am meisten dafür löhnen.

Der BBT und die NEAT in der Schweiz: Der Lötschbergbasistunnel ist bereits seit 2007 fertig, der Gotthard wurde Ende 2010 durchstossen und ging 2016 in Betrieb. Die Schweiz hat also 2 neue Hochleistungs-Alpentransversalen, die deutlich vor dem BBT in Betrieb gehen oder schon gingen. Wie wird sich das auf die Brennerachse auswirken? Glaubt man zahlreichen Verkehrsexperten, so sind ca. 30 Prozent des LKW-Verkehrs am Brenner Mautflüchtlinge, die Umwege in Kauf nehmen, um der höheren Maut in der Schweiz auszuweichen. Erfolgen regulierende Massnahmen auch in Österreich – wie vorhin angeführt ja eine Grundvoraussetzung hinsichtlich Nachhaltigkeit des Projekts – so würden diese 30% Mautflüchtlinge dann den näheren Verkehrsweg über die Schweiz nehmen.

Die Qualität des Reisens: So verlockend es natürlich klingen mag, hinkünftig in weniger als 1 Stunde von Innsbruck durch den BBT nach Bozen zu flitzen (aktuell 2 Stunden), man also nur mal schnell auf einen Espresso oder eine Pasta in der Südtiroler Hauptstadt vorbeischauen kann, so sollte doch auch die Qualität des Reisens nicht ausser Acht gelassen werden. Sicherlich gibt es in unserer hektischen, oberflächlichen Zeit immer mehr Menschen, die weder links noch rechts schauen und denen es vielleicht gar nicht auffallen würde, ob es draussen hell oder dunkel ist. Aber es gibt auch Menschen, denen die Qualität des Reisens, der Weg an sich, viel bedeutet, ja mehr bedeutet als die eine oder andere Minute oder Stunde Zeitgewinn. Wie genussvoll kann eine Reise über den Brenner für einen Freund des qualitätsbewussten Reisen sein. Man delektiert sich an der Landschaft, ja an der kühnen Bahnstrecke an sich, am besten im Speisewagen sich labend, sei es bei einem “nördlichen Abschiedsessen” in Form eines Schnitzels, dazu ein gepflegtes Bier oder einem “südlichen Willkommensessens” in Form einer Pasta mit Weinbegleitung. Man geniesst die Reise, man erfährt Land und Leute, nähert sich dem Ziel mit stetig wachsender Vorfreude. Das ist doch etwas nobler als von einem “schwarzen Loch” verschluckt zu werden, Enge und Dunkelheit umfängt den Reisenden, die Ohren verschlagen sich begleitet vom druckbedingten “Tuschen” der Lüftung und dann speit einen das schwarze Loch plötzlich wieder aus, man erfährt das Land nicht sondern – um es mit Martin Heideggers Worten zu formulieren – man wird in das fremde Land geworfen. Ähnlich den Billigflugtouristen, die wochenends wie Insektenschwärme in fremden Städten einfallen. Überschwemmen nach den Billigflugtouristen, denen es gar nicht darum geht, wohin es geht sondern Hauptsache es geht wohin und das möglichst billig, überschwemmen nun nach den Billigflugtouristen die Billigbahntouristen wochenends so mal schnell fremde Städte?? “Unkultur trifft Kultur”, fällt mir dazu nur ein! Aber es gibt auch Menschen – deren Zahl man nicht unterschätzen sollte als zahlendes Klientel – die werden weiterhin das “Erfahren” eines Landes der “Geworfenheit” vorziehen. Ganz in alter “Seume´scher Tradition” – “Ich schnallte in Grimme meinen Tornister, und wir gingen…..”


Ob der Brennerbasistunnel nun ein Segen für die Tiroler Bevölkerung wird oder ein Milliardengrab für die Republik hängt wie so Vieles von der Politik, von den Politikern ab. Dies erfüllt mich mit Sorge, denn was die Seriosität und die Qualität in der Politik der letzten Jahre angeht … – aber das ist ein anderes Thema….Dem Land Tirol – den Bewohnerns nördlich wie südlich des Brenners – wäre es jedenfalls zu wünschen, dass der BBT für sie zum Segen wird, ihnen wieder bessere Luft und weniger Lärm bringt!

Nota bene: Aus den vorangehenden Ausführung sollte nicht a priori der Schluss gezogen werden, dass DEEF in Person des Chefredakteurs ein “Tunnelgegner” sei. Im Gegenteil, sollten die angekündigten Ziele, allen voran die Verlagerung von mindestens 2/3 des Verkehrs auf die Schiene und der damit verbundene Zuwachs an Lebensqualität erreicht werden, so ist das Projekt eindeutig zu goutieren. Die Ausführungen mögen dazu dienen, die geschätzte Leserschaft zu sensibilisieren und zu einem offenen aber auch kritischen Diskurs anzuregen.


Links:

Webseite des Betreibers mit detaillierten Angaben zur Planung, Bau und zum aktuellen Baufortschritt >>>

Ausstellung BBT Infopoint in der Festung Franzensfeste und Beobachtungsstelle Brennerbasistunnel >>>

DEEF Bericht BBT Info-Point & Baustellen-Visite in Franzensfeste Mai 2011 >>>

DEEF Doku Brennerbahn >>>

DEEF Doku Neue Unterinntalbahn >>>

DEEF Doku zur Alten Brennerbahn, heute Rad-/Fußweg (Brenner – Gossensaß, 4 Teile) >>>

DEEF Doku zur Alten Brennerbahn, heute Rad-/Fußweg (Bozen – Waidbruck, 4 Teile) >>>


Text / Fotos / Videos copyright DEEF / Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum.

Sollten Sie Anregungen zu den Projekten haben oder eigene Beiträge oder Fotos präsentieren wollen, so freuen wir uns auf eine Kontaktaufnahme. Haben Sie einen Fehler entdeckt? Bitte um Info >

redaktion@dokumentationszentrum-eisenbahnforschung.org


Bericht von: Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum, Chefredakteur Railway & Mobility Research Austria / DEEF

Erstmals Online publiziert: 21. Jänner 2012; Letzte Ergänzung: 27.11.2020