Straßenbahn – Untergrundbahn – Geisterbahn – Die Metro von Charleroi
Vorbemerkungen
Bedingt durch ihre Geschichte und ihr heutiges Erscheinungsbild kann man die Metro Charleroi – bleiben wir mal bei diesem Begriff – also die Metro der Stadt Charleroi, Hauptstadt der Provinz Hennegau im Belgischen Wallonien, durchaus mit mehreren Begriffen umschreiben: Straßenbahn, Stadtbahn, Regionalstadtbahn, Metro, U-Bahn und auch Geisterbahn ob einiger nicht bedienter Tunnel und leerstehender Geisterbahnhöfe.
Nachdem ich 2013 einen kurzen Abstecher nach Charleroi machte und ein paar Fotos von der Metro nächst des Bahnhofs schoss, so entschloss ich mich im Sommer 2017, nach einem Workshop in Brüssel 2 Nächte im Ibis von Charleroi direkt gegenüber des Hauptbahnhofs an den Ufern des schiffbaren Flusses Sambre zu buchen.
Charleroi war als Zentrum von Bergbau (Kohle), Stahl- und Glasindustrie in Wallonien (größtes Montanrevier Europas) lange als dreckige, schwarze Stadt “berühmt”, nach dem Niedergang der Industrie verbunden mit einen sehr hohen Anteil an Arbeitslosen ist die Region auf der Suche nach einer neue Identität. Zumindest die Luft, so kann berichtet werden, ist heute sicher nicht schlechter als bspw. in meiner Heimatstadt Salzburg – aber da ist sie ja nicht gerade gut aufgrund einer verfehlten Verkehrspolitik.
Immerhin besteht für die Stadt Charleroi die Möglichkeit eines nachhaltigen Neubeginns, wobei erste Projekte dazu Hoffnung für die Zukunft geben.
Genese des Metro-Netzes Charleroi
Belgien hatte einst ein dichtes Netz an Überlandstraßenbahnen (ca. 5000 km!), so auch die Region rund um Charleroi. Zum Ende der 1960er Jahre war der Großraum Charleroi von zwei verschiedenen Straßenbahn-Betreibern erschlossen. Im Westen des Stadtzentrums durch das Überlandnetz der staatlichen SNCV (Société nationale des chemins de fer vicinaux) und im Osten durch die Linien des städtischen Betriebes STIC (Société des transports intercommunaux de Charleroi). Beide Netze waren nicht mehr auf der Höhe der Zeit, das Wagenmaterial veraltet und die Strecken meist ungünstig trassiert in eingleisiger Seitenlage.
So wurde in den 1960er Jahren ein großzügiges Netz einer Metro (Stadtbahn) auf eigenständiger Trasse geplant und auch begonnen, dieses zu bauen. Vorgesehen war ein Innenstadtring sowie von dort ausgehend 8 Linien in die Aussenbezirke. Das komplette Netz mit einer Länge von 52 km und 69 Stationen sollte 1994 fertiggestellt sein.
Heute zeigt sich folgende Situation: Nach der Vereinigung der beiden Straßenbahnbetreibern zur TEC (diese betreibt den kompletten Nahverkehr in Wallonien) wurde ein Teilbereich des Netzes eröffnet, andere Teile wurden fertiggestellt aber es fährt bis dato kein Zug auf diesen Strecken und die Tunnel und Teile der begonnenen Strecken, Bahnhöfe und Tunnel wurden im Rohbau belassen und siechen heute langsam dem Verfall entgegen. Aktuell gibt es sogar einen Anbieter in Charleroi, der geführte Touren zu diesen Geisterstrecken und den Geisterbahnhöfen anbietet.
Aktuelle Linien
Seit der Linienreform 2012 verkehren 4 Linien:
Alle 4 Linien durchfahren den Innenstadtring und bedienen die insgesamt 8 Stationen einmalig im Einbahnsystem.
Zukunft
Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass das ursprünglich geplante Metro-Netz vollständig umgesetzt wird, so wurden und werden Teile davon realisiert.
Vor dem Hauptbahnhof von Charleroi, der seit Anfang 2023 nicht mehr Charleroi Sud sondern Charleroi-Central heißt, wurden die bestehende Haltestelle sowie die beiden Abstellgleise abgerissen und eine neue Haltestelle Charleroi-Central angelegt. Beim provisorischen Busbahnhof wurde eine neue Haltestelle errichtet, die nunmehr 31. Station des Netzes heißt Sambre.
Und erfreulicherweise wurde beschlossen und schon mit dem Bau begonnen, nämlich die bisherige Geisterlinie von der Station Waterloo am Innenstadtring nach Centenaire in Betrieb zu nehmen und diese Linie (M5) wird dann verlängert bis zum neuen Großkrankenhaus von Charleroi in Les Viviers mit Erschließung des großen Einkaufszentrums CORA durch die Station Corbeau. Diese dann 5,5 km lange Strecke der M5 inklusive 500 m Neubaustrecke wird 8 Stationen haben. Der Endpunkt beim Krankenhaus in Les Viviers ist nur ca. 1 km von der Station Gilly der Linie M4 entfernt, wobei event. über eine Verknüpfung der beiden Linien nachgedacht werden kann. Die Bauarbeiten für die Linie M5 sollen im Sommer 2023 beginnen, nachdem im Jänner 2023 die Baugenehmigung erteilt wurde. Die Eröffnung soll 2026 erfolgen.
Einige Kennzahlen Metro Charleroi
Eröffnung der Dampfstraßenbahn: 1881
Elektrische Straßenbahn: 1904
Eröffnung Stadtbahn (franz. Métro léger de Charleroi): 1976
Betreiber: TEC (Transport en Commun)
Spurweite: Meterspur (1.000mm)
Stromversorgung: 600 Volt Gleichstrom durch Oberleitung
Streckenlänge: 33,4 km
Linienlänge: 25,6 km
Linien: 4
Haltestellen: 31
Tunnelbahnhöfe: 12
Betriebshöfe: 2
Fahrzeuge: 44 einsatzfähige Stadtbahn-Gelenk-Wagen vom Typ S.M.-2, hergestellt zwischen 1980-1982 von BN (mechanischer Teil) und ACEC (elektr. Teil), 6-achsig, 2 Motoren mit je 228 kW, Höchstgeschwindigkeit 65 km/h, Leergewicht 35 Tonnen, 2-Richtungs-Betrieb
Metro Charleroi – Kleine Foto-Doku
Links / Literatur
Betreiber TEC >>>
Belgische Staatsbahn SNCB >>>
DEEF Doku Bois du Cazier – Tragödie und Weltkulturerbe >>>
DEEF Kategorie ÖV Belgien >>>
Christoph Groneck und Dirk Martin Stein: Metros in Belgien. Berlin 2009
Alle Fotos / Videos copyright DEEF/Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum
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Bericht von: Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum, Chefredakteur Railway & Mobility Research Austria / DEEF
Erstmals Online publiziert: 29. Oktober 2017; Relaunch der Seite: 31.3.2023; Letzte Ergänzung: 1.4.2023