Groß-Schweinbarth – Kein Wirtshaus mehr aber (noch) einen Bahnhof

Eisenbahnknoten Groß-Schweinbarth – Bahnhof JA, Wirtshaus NEIN
Groß-Schweinbarth ist eine Marktgemeinde mit 1.254 Einwohnern (Stand 1. Jänner 2017) im Niederösterreichischen Weinviertel, politischer Bezirk Gänserndorf. Bei der Planung einer eisenbahnhistorischen Exkursion wollte ich im Ort zu Mittag essen und suchte im Internet ein Wirtshaus. Jedoch fand ich keins. Das konnte ich nicht glauben und schrieb per Mail die Gemeinde an – der Bürgermeister höchstselbst antwortete mir und bedauerte gleichzeitig, aktuell mit keinem Wirtshaus in der Gemeinde mehr aufwarten zu können, das letzte sperrte vor kurzem zu.
Also kein Wirtshaus in Groß-Schweinbarth, eine bedauerliche Entwicklung quer durch unsere Alpenrepublik, hinkünftig schleppt man die Bierdosen und Weinampullen wohl nur mehr nach Hause und besäuft sich dort im stillen Kämmerlein vor dem volksverblödendem Patschenkino des Staatsfernsehens. Kommt billiger zwar als beim Wirten einen zu heben, ist aber wohl eindeutig mit weniger Geselligkeit und Kultur verbunden…..
Aber einen Bahnhof haben sie (noch) in Groß-Schweinbarth, uns was für einen – das Aufnahmsgebäude ist zwar nicht riesig, aber der Bahnhof hat 3 Gleise und ist Kreuzungspunkt zweier für die Region sehr wichtigen Regionalbahnstrecken, auch wenn dies manche Niederösterreichische Politiker (der zwischenzeitlich pensionierte Niederösterreichische Landeshäuptling “Erwin der Kahle” hatte es ja nicht so mit den Eisenbahnen) und manche Manager der Staatsbahn ÖBB bezweifeln mögen.



Groß-Schweinbarther Kreuz
Diese große Bedeutung von Groß-Schweinbarth für den Schienenverkehr in der Region zeigt sich auch im Namen, den Eisenbahnkenner in diesem Kontext verwenden Groß-Schweinbarther Kreuz.
Diese Bezeichnung deutet Wichtigkeit an, so wie bspw. Berlin Ostkreuz oder Berlin Westkreuz oder, um im Inland zu bleiben, beim Autoverkehr in Wien “Südost-Tangente” oder eines der zahlreichen “Autobahn-Kreuze” (auch Autobahn-Dreiecke genannt), die es in der weiten Welt gibt.
Auch wenn das Groß-Schweinbarther Kreuz schon etwas an Bedeutung eingebüßt hat, weil im Lauf der letzten Jahre seine Zulaufstrecken amputiert wurden, so ist es immer noch bedeutungsvoll und so soll es auch bleiben.
2 Lokalbahnstrecken kreuzen sich in Groß-Schweibarth, nämlich:
Lokalbahn Gänserndorf – Mistelbach (eröffnet 1903)
Stammersdorfer Lokalbahn Stammersdorf – Dobermannsdorf (eröffnet 1903)
Erstgenannte Strecke ist heute noch von Gänserndorf über Groß-Schweibarth nach Bad Pirawarth in Betrieb, die Stammersdorfer Lokalbahn von Obersdorf (an der Laaer Ostbahn Wien – Laa/Thaya gelegen) ebenfalls bis Bad Pirawarth. Beide Strecken zusammen werden heute auch als “Weinviertler Landesbahn” bezeichnet.

Der Verkehr wird aktuell (2017) von Diesel-Triebwagen der Baureihe 5047 abgewickelt, wochentags im Stundentakt, am Wochenende im 2-Stunden-Takt. Meist treffen sich 3 Triebwägen gleichzeitig in Groß-Schweinbarth, nämlich der Triebwagen von Gänserndorf (> Nordbahn) nach Obersdorf (>Nordwestbahn), der Triebwagen in der umgekehrten Richtung von Obersdorf nach Gänserndorf und dann der Anschlusstriebwagen von Groß-Schweinbarth nach Bad Pirawarth.





Aus meinem Reisetagebuch (26.6.2012)
Eine äußerst wohltuende, erquickende Landpartie an Bord eines Jenbacher Triebwagens (ÖBB BR 5047) konnte ich letztens kurz nach Mittsommer erleben. Von Gänserndorf an der Nordbahn gelegen ging es durch Felder, Wiesen und Rebhügel quer durch die “Pampa” des Weinviertels über Groß-Schweinbarth nach Obersdorf an der Laaer Ostbahn. Trotz einiger Langsamfahrstellen war es eine sehr hurtige Fahrt, bei einigen schneidig angefahrenen Kurven war ich froh, in einem alten Jenbacher Qualitätstriebwagen zu sitzen und nicht in einem der dort gottlob noch nicht anzutreffenden “Desastros” (ÖBB BR 5022) – bei diesen neuen Plastikkisten hätte ich wohl eher Angst gehabt zu entgleisen.
Die Pampa des Weinviertels strahlt einen eigenen Charme aus, sie wirkt beruhigend auf mich, was durch das gemütliche Auf- und Ab der unzähligen Erdölförderpumpen noch verstärkt wird. Irgendwie scheint hier die Zeit stehengeblieben zu sein, auch die Bahnhöfe entlang der Strecke sind meist noch aus der guten alten Zeit und noch nicht verunstaltet mit Glas und Beton.

Hie und da scheucht der satte Spruch unseres Jenbachers einen Hasen oder ein Reh auf, die aber sofort wieder weiteräsen, denn der Jenbacher gehört zum hiesigen Lokalkalorit wie die sich langsam auf- und abwiegenden Erdölpumpen und die Rebstöcke und die Buschenschanken (Heurige). Wochentags verkehren die Triebwägen im Stundentakt, am Wochenende – wie leider meist in Österreich üblich – nur im 2-Stunden-Takt oder seltener.

In Groß-Schweinbarth wird kopfgemacht (oder gestürzt wie manche sagen), nicht weil der Schienenstrang dort enden würde – der wird zumindest aktuell noch bis Bad Pirawarth bespielt und früher ging es von dort noch weiter nach Mistelbach sowie nach Dobermannsdorf – sondern weil das Groß-Schweinbarther Kreuz so trassiert ist, dass in den Bahnhof eingefahren werden muß und dann geht es auf einem 2. Gleis wieder gut 1 km parallel zum 1. Gleis retour und dann erfolgt der Abzweig nach Obersdorf.

Auch dort in Obersdorf führte der Schienenstrang früher weiter, nämlich Richtung Stammersdorf. Aber das ist Geschichte, eine andere, nicht so erfreuliche Geschichte, die es leider über viele Regionalbahnen in Österreich zu berichten gäbe, die oft vorschnell zugesperrt wurden und auch aktuell noch zugesperrt werden anstatt sie – wie bspw. in der Schweiz – zu attraktivieren und entsprechend zu vermarkten.
Fazit / Ausblick
Es bleibt nur zu hoffen, dass das Groß-Schweinbarther Kreuz zumindest in dieser eh schon verkürzten Form dem Zusperrwüten der Staatsbahn und vieler Politiker trotzen kann und noch lange im Dienste des Öffentlichen Verkehrs aktiv bleiben wird, ja vielleicht sogar ausgebaut werden wird.

Man muss nur das Potential erkennen und dann entsprechend fördern, bewerben und die Anwohner wie Touristen motivieren, diese “Weinviertler Pampa” mit der Eisenbahn und nicht mit dem Automobil zu bereisen. Denn bitte wer möchte schon einen Heurigen besuchen und dann mit dem Automobil fahren müssen – dann wäre es doch fein, sich mit der Eisenbahn chauffieren zu lassen… “Geh Mitzi, bring ma no a Achterl” 🙂

Chefred Dr. Michael Alexander Populorum hebt sein Glas nicht nur zu Ehren des guten Weines in der Buschenschank Schabel zu Prottes sondern auch auf einen weiterhin gedeihlichen Betrieb auf Schienen rund um das Groß-Schweinbarther Kreuz. Und darauf, dass die Gemeinde Groß-Schweinbarth bald wieder nicht nur einen Bahnhof sondern auch einen Wirten oder eine ordentliche Buschenschank haben wird.

Nota bene:
Seit 15. Dezember 2019 ist das Groß Schweinbarther Kreuz Geschichte, der Personenverkehr wurde eingestellt.
Links
DEEF-Doku Lokalbahn Gänserndorf – Mistelbach >>>
DEEF-Doku Stammersdorfer Lokalbahn: Teil 1 von Stammersdorf nach Obersdorf >>>
DEEF-Doku Stammersdorfer Lokalbahn: Teil 2 Obersdorf – Groß Schweinbarth – Dobermannsdorf >>>
DEEF-Doku Marchfeldbahn Gänserndorf – Marchegger >>>
DEEF-Doku Lokalbahn Korneuburg – Hohenau an der March (Weinviertelbahn) >>>
DEEF-Doku Marchegger Ostbahn Wien – Preßburg >>>
DEEF-Doku Zayatalbahn Mistelbach Lokalbahn – Hohenau an der March >>>
DEEF-Doku Zayataler Schienentaxi >>>
Text / Fotos / Videos copyright DEEF / Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum
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Bericht von: Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum, Chefredakteur Railway & Mobility Research Austria / DEEF
Erstmals Online publiziert: / page first published 21. August 2017; Seiten-Relaunch 10.4.2025; Letzte Ergänzung / page last modified 10.4.2025