Durch den wilden Apennin (1) – Die Porrettana von Bologna nach Pistoia

Der Apennin ist ein in etwa Nord-Ost nach Süd-West verlaufender und ganz Italien durchziehender Gebirgszug (Italien = Apeninnische Halbinsel), welcher in seinem nördlichen Bereich (Toskanisch-Emilianischer Apennin) Mittel- bis Hochgebirgscharakter aufweist und eine Barriere darstellt zwischen den Regionen Emilia-Romana (Hauptstadt Bologna, 390.625 Einwohner) und Toskana (Hauptstadt Florenz, 372.038 Einwohner). Die größte Erhebung des Apennin befindet sich mit dem Corno Grande (2912 m) im Gran Sasso-Massiv in den Abruzzen, die höchste Erhebung im Toskanisch-Emilianischen Apennin ist der Monte Cimone (2.165 m).
Insgesamt 4 Eisenbahnstrecken queren diesen Toskanisch-Emilianischen Apennin, nämlich
- Porrettana, eingleisige Gebirgseisenbahn Bologna – Porretta Terme – Pistoia, Appennin-Scheiteltunnel 2.727 m, eröffnet 1864
- Direttissima, klassische 2-gleisige Eisenbahnstrecke Bologna – Prato – Florenz durch den 18.507 m langen Appennin-Tunnel, eröffnet 1934
- Schnellfahrstrecke Bologna – Florenz (TEN-Achse Nr. 1 Berlin – Palermo), eröffnet 2009
- Faentina, eingleisige Gebirgsstrecke Faenza – Borgo San Lorenzo – Florenz, eröffnet 1893

Im März 2017 befuhr ist alle diese 4 Strecken im Rahmen meines mehrtägigen Aufenthalts in der prächtigen Stadt Bologna, wobei 1, 2 und 4 Erstbefahrungen waren, die Direttissima hatte ich bei meinen zahlreichen Italienaufenthalten natürlich schon mehrfach frequentiert.
Eingedenk der Tatsache, dass nur ein geringes Zeitbudget zur Verfügung stand, das Wetter nicht immer mitspielte und das neue Rollmaterial ohne zu öffnende Fenster das Fotographieren erschwerte bis verunmöglichte, ist das Fotomaterial als eher bescheiden zu beurteilen – ich wünsche mir allerdings nichts mehr als an diese Strecken zurückkehren zu können, um Eisenbahn wie Kultur und Leute intensiver kennenlernen und dokumentieren zu können.
Die Porrettana:
Die Porrettana war die erste Eisenbahnverbindung zwischen Norditalien und Mittelitalien, welche den Apennin querte und bis zur Inbetriebnahme der “Direttissima” 1934 eine der wichtigsten Hauptbahnen Italiens war. Geplant und gebaut wurde sie unter Österreichischer Ägide (Großherzogtum Toskana), eröffnet dann im neu entstandenen Königreich Italien. Ursprünglich standen 2 Trassenvarianten zur Auswahl, nämlich von Bologna über Prato nach Florenz sowie die dann verwirklichte Trasse über Pistoia. Wobei es nicht nur ein Wettstreit zwischen den beiden Städten Prato (welche dann mit der Direttissima bedient wurde) und Pistoia war, sondern das Habsburgische Österreich machte aus militärischen Gründen Druck für die Verbindung über Pistoia, um seinen Hafen in Livorno besser anbinden zu können.

Federführend für die beiden Projekte waren Ingenieur Cini aus San Marcello Pistoiese für die Pistoia-Route sowie Ingenieur Ciardi aus Prato für die Prato-Route, wobei beide bereits 1845 Pläne dazu vorlegten.
Am 18. Mai 1846 unterzeichneten die Regierungen Österreichs, des Großherzogtum Toskana, der Herzogtümer Parma und Modena und dem Kirchenstaat ein internationales Abkommen für den Bau der “Italienischen Centralbahn” (Società Anonima per la Strada Ferrata dell’Italia Centrale, gegr. 1852) zwischen Piacenza und Pistoia mit einer Abzweigung nach Mantua, die sich mit bereits bestehenden Eisenbahnstrecken in der Lombardei und Venetien verbinden würden. Der Vertrag für die Porrettana wurde am 26. Januar 1852 in Modena abgeschlossen, Ing. Cini konnte ihn nicht mitunterzeichnen, da er am Vortag verstorben war.

1856 wurde der Bau der Strecke nach jahrelangen Arbeiten an eine internationale Kapitalgesellschaft unter der Leitung des französischen Ingenieurs Jean-Louis Protche übergeben, der auf der besonders schwierigen Südrampe mit einem großen Höhenunterschied auf kurze Entfernung (500 m auf 14 km) einen Spiraltunnel zur Lösung des Problems bauen ließ, eine Lösung, die nachfolgend u.a. auf der Gotthardbahn erfolgreich praktiziert wurde.
Die höchste Frequenz hatte die Porrettana im 1. Weltkrieg zu bewältigen und es wurde deutlich, dass so eine schwierig trassierte eingleisige Strecke den Verkehr der Zukunft nicht bewältigen wird können. Daher baute man die “Direttissima” (Eröffnung 1934) und seither nimmt die Porrettana die Rolle einer Nebenbahn mit nur mehr regionaler Bedeutung ein.

Die Porrettana – Kennzahlen:
- Spur: Normalspur, eingleisig (Bologna Centrale – Casalecchio Garibald 2-spurig)
- Traktion: Ursprünglich Dampf, ab 1927 Drehstrom, seit 1935 Gleichstrom 3.000 Volt
- Länge: 99 km
- Max. Neigung: 26 Promille
- Kunstbauten: 48 Tunnel und 35 Brücken/Viadukte
- Längste Tunnel: Appennino (2.727 m), Pian di Casale (2.622 m), Piteccio-Vignacci-Fabbiana-Tunnelkette (1.708 m, ab 1882 zwecks Belüftung unterteilt)
- Eröffnung: Gesamtstrecke 1864 (Bologna–Vergato, 39 km, 18. August 1862; Vergato–Pracchia, 35 km, 1. Dezember 1863; Pracchia–Pistoia, 25 km, 2. November 1864)
- Betreiber: Aktuell Infrastruktur RFI (vormals SFIC – Strade Ferrate dell’Italia Centrale (1862-1865); SFAI – Società per le Ferrovie dell’Alta Italia (1865-1885); SFM – Società per le Strade Ferrate del Mediterraneo (1885-1905); FS (1905-2001)
- Frequenz: Personenverkehr der Trenitalia stündlich zwischen Bologna und Porretta Terme, 2-4 stündlich Porretta Terme – Pistoia; keine durchgehenden Züge, immer Umstieg in P.T. Kein Güterverkehr mehr
Die Stationen:
Bologna Centrale, Bf, 45 m.ü.d.M.


Bologna Borgo Panigale, Hs (bis 2011 Bf), km 126,9; 46 m
Casteldebole, Hs (seit 2003), km 125,3
Casalecchio Garibaldi, Bf (Keilbahnhof seit 2002), km 123,1
Casalecchio di Reno, Hs (bis 2002 Bf), km 122,1; 70 m
Borgonuovo, Hs, km 118,5
Pontecchio Marconi, Hs, km 116,2; 91 m
Sasso Marconi, Bf, km 112,8; 107 m

Lama di Reno, Hs (seit 1948), km 107,9; 114 m
Marzabotto, Bf, km 105,3; 129 m
Pian di Venola, Hs (seit 2004), km 103,1
Pioppe di Salvaro, Bf, km 99,1; 163 m

Vergato, Bf, km 93,4; 194 m
Carbona, Hs (seit 1949), km 89,1; 222 m
Riola, Bf, km 85,0; 252 m

Silla, Hs, km 75,9; 330 m
Porretta Terme, Bf, km 73,4; 352 m





Ponte della Venturina, Hs (seit 1909), km 69,9; 396 m

Molino del Pallone, Bf, km 65,7; 495 m
Biagioni-Lagacci, Hs, km 63,7; 506 m
Pracchia, Bf, km 58,6; 616 m (Scheitelpunkt); bis 1965 Übergang zur FAP

San Mommè, Hs (seit 1935), km 35,4; 544 m
Castagno, Hs (seit 1960), km 53,4; 493 m
Corbezzi, Bf, km 51,1; 418 m


Piteccio (Betriebs-Bf, kein PV seit 1980er), km 45,1; 291 m
Zur Erkundung dieses ehem. Bahnhofs mit zahlreichen Relikten muss man als Öffi-Fahrer heutzutage mit dem Bus (Linie 25) von Pistoia aus anreisen.
Valdibrana (Betriebs-Bf, kein PV seit 1990er, eröffnet 1882 als Vaioni), km 38,8; 140 m
Pistoia Ovest, Hs, km 35,3

Pistoia, Bf (seit 1850), km 33,6; 63 m



Die “Musi neri” von Pistoia
Im Lokdepot von Pistioa befindet sich die größte Ansammlung von historischen Eisenbahnfahrzeugen in ganz Italien. Fachkundige Hände bringen altes Rollmaterial wieder zum Laufen, zahlreiche betriebsfähige Dampf- und Elektrolokomotiven sowie Triebwägen werden hier durch die sogenannten “Musi neri” (“Schwarznasen”) für die Nachwelt erhalten. Mit der Porrettana hat man ja eine herrliche Strecke für Nostalgiefahrten direkt vor der Haustüre.


Pracchia:
In Pracchia sollte am auf alle Fälle trotz Zeitknappheit einen Zwischenstopp einlegen. Hier verschwinden die Gleise im Dunkel des längsten Tunnels der Strecke, dem “Appennino”, hier zweigte bis 1965 die Schmalspurbahn / Überlandstraßenbahn der FAP (Ferrovia Alto Pistoiese) nach San Marcello Pistoiese ab, welche bis 1956 dann noch weiter bis Mammiano führte.
Die FAP hatte ein Spurweite von 950 mm und die 16,8 km lange Strecke war mit 1.200 Volt Gleichstrom elektrifiziert.
Es gibt einige Relikte dieser interessanten Strecke, vor allem Gebäude. In Anlehnung an den Bahnhof der FS steht heute noch in Pracchia das Aufnahmsgebäude mit Lager der FAP. Wünschenswert wäre, dass das Gebäude einer sinnvollen Nachnutzung zugeführt und vorher sachgemäß restauriert wird.












Links:
Italienische Staatseisenbahn >>>
Fotos und alte Pläne der Porrettana (ital.) >>>
Text / Fotos / Videos copyright DEEF / Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum.
Sollten Sie Anregungen zu den Projekten haben oder eigene Beiträge oder Fotos präsentieren wollen, so freuen wir uns auf eine Kontaktaufnahme. Haben Sie einen Fehler entdeckt? Bitte um Info >
redaktion@dokumentationszentrum-eisenbahnforschung.org
Bericht von: Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum, Chefredakteur Railway & Mobility Research Austria / DEEF
Erstmals Online publiziert: 10. Feber 2021; Letzte Ergänzung: 11.2.2021