Der “Kammerer Hansl” – einst Tourismus, heute Güter und Pendler

“Kammerer Hansl” ist die volkstümliche Bezeichnung für die 1882 eröffnete eingleisige und seit 1955 elektrifizierte Eisenbahnstrecke in Normalspur von Vöcklabruck an der Westbahn nach Kammer-Schörfling an den Gestaden des Attersees. Der Name Kammerer Hansl rührt von der gleichnamigen Hochfläche glazialer Entstehung her, die die Bahnstrecke mit maximal 21,9 Promille überqueren muss.
Geschichte
Die Errichtung der Bahnstrecke Kammerer Hansl ist in engem Kontext mit dem beginnenden Tourismus im Attergau und konkret mit dem Beginn der Dampfschiffahrt auf dem Attersee durch die 1. Attersee-Dampfschiffahrts-Unternehmung ab dem Jahre 1869 zu sehen. Die Schiffseigner, die auch Besitzer der Herrschaft Kammer waren, nämlich August Horváth von Szenti Gyorgy und seine Gattin Ida, geborene Gräfin Khevenhüller, verfolgten auch die Errichtung einer Eisenbahnstrecke nach Kammer am Attersee und am 30. März 1880 erhielten sie die Bewilligung zur Vornahme technischer Vorarbeiten für eine “Lokomotiv-Eisenbahn von Kammer am Attersee zum Anschluß an die k. k. priv. Kaiserin-Elisabeth-Bahn”. Die Planung und Bausausführung erfolgte durch den Wiener Ingenieur und Bauunternehmer Miroslav Ritter von Keißler, den Sohn des Erbauers der Westbahn (vorm. Kaiserin-Elisabeth-Bahn), Karl Ritter von Keißler. Dieser bekam auch von den ursprünglichen Proponenten die Bewilligung übertragen und erhielt am 1. August 1881 die Konzession.
Baubewilligung: 2. Juni 1881
Techn. – polizeiliche Prüfung: 22. April 1882
Feierliche Eröffnung: 30. April 1882
Aufnahme des öffentlichen Verkehrs: 1. Mai 1882
1907 wurde eine Pacht- und Betriebsvertrag mit der Staatsbahn erstellt, die Staatsbahn zahlte für die Benutzung und den Betrieb jährlich 30.483 Kronen an die Eigentümer, die Familie Keißler bzw. dann ihren Nachfahren.
Die Familie Keißler blieb bis 1938 Eigentümer der Bahn, mit Wirkung vom 1. 1. 1939 wurde mit dem Übergang der ÖBB in die Deutsche Reichsbahn der Pacht- und Betriebsvertrag außer Kraft gesetzt und die Bahn somit verstaatlicht.

Seit 1945 erfolgt der Betrieb durch die ÖBB. Nachdem schon in den 30er Jahren dieselelektrische Triebwägen statt Dampftraktion zum Einsatz kamen, kann seit dem 19. Juli 1955 die Traktion elektrisch erfolgen, wobei seither dennoch auch Dieseltriebwägen der Reihe 5047 zum Einsatz kamen.
2014 Aufgabe des Endbahnhofs Kammer-Schörfling und Errichtung Haltestelle Kammer-Schörfling mit Busterminal
Einige Kennzahlen

Streckenlänge: Ab Abzweigung von der Westbahn “Vöcklabruck 1” 8,2 km
Spur: Normalspur, eingleisig
Traktion: Elektrisch 15 kV 16,7 Hz ~
Maximale Neigung: 22 Promille
Minimaler Radius: 142 m
Höchstgeschwindigkeit: 60 km/h
Die Stationen
Vöcklabruck, Bahnhof (Bf), km 248,0 (Westbahnstrecke ab Wien) > km 0,0; Seehöhe 435 m



Oberthalheim-Timelkam, Haltestelle (Hs), km 3,4

Pichlwang, ehem. Hs, km 4,6 (18.1.1944 aufgelassen)
Lenzing, Bf, km 5,8 (AB Lenzing AG)



Lenzing Ort, Hs, km 7,3

Siebenmühlen-Rosenau, Hs, km 8,7


Kammer-Schörfling, Hs, km 10,4 (Endpunkt seit 28.6.2014)


Kammer-Schörfling, ehem. Bahnhof, bis 1909 “Kammer”, km 10,9 (Endpunkt bis 21.4.2014)








Betrieb – deutliche Verbesserung seit 2020
Ab dem Jahr 2020 hat sich der Betrieb auf der Bahnstrecke Vöcklabruck-Kammer-Schörfling deutlich verbessert. Die Verbesserungen fanden auf Initiative (Druck) des Landes Oberösterreich auf die Staatsbahn ÖBB statt. Seither gibt es einen Stundentakt wochentags und einen 2-Stundentakt am Wochenende.
Beim ersten Erscheinen dieser Doku 2012 war noch folgendes zu lesen:
Frequenz: Diesbezüglich gab es in den letzten Jahren ein ständiges Auf- und Ab. Man hat den Eindruck, man weiß seitens des Betreibers nicht wirklich, ob man die Strecke einstellen, richtig vertakten oder nur ein Erinnerungszugpaar täglich führen soll. Aktuell gibt es täglich 4 Verbindungen nach Kammer-Schörfling, davon 3 von/bis Attnang-Puchheim, 1 von/ab Vöcklabruck (erste/letzte Verbindung des Tages). Sehr bedauerlich ist, daß aktuell kein Verkehr am Wochenende stattfindet, dh. die touristische Nutzung ist sehr eingeschränkt, auch ob der zeitlichen Lage der Kurse. Ab Vöcklabruck: 5.47, 6.44, 13.29, 17.13. Ab Kammer-Schörfling: 6.08, 7.08, 14.08, 18.17

Anmerkungen zum Besuch 2012
Anreise
An einem sonnigen und sogar heißen Nachmittag im Mai 2012 stattete ich dem Kammerer Hansl einen Besuch ab. Ich war lange nicht dort gewesen und in den 1980er Jahren, als ich einen Studienkollegen namens Kurt in Timelkam ein paar Mal besuchte, da nutzte ich den Kammerer Hansl auch nur zur Rückfahrt gen Salzburg von Oberthalheim-Timelkam aus bis Vöcklabruck. Die restliche Strecke war bis dato für mich eine terra incognita. Damals waren noch Spantenwagen, also 2-Achser mit offener Plattform, im Einsatz, an die Lokomotive kann ich mich nicht mehr erinnern.
Von Salzburg ging es um 16.10 mit dem IC los, nach 41 Minuten Fahrzeit kam ich pünktlich um 16.51 in Vöcklabruck an. Die Zeit bis zur Abfahrt des Kammerer Hansl nutzte ich, um Fotos vom Bahnhof Vöcklabruck zu schießen und um in der noch völlig intakten Bahnhofsrestauration ein Seidl Bier aus Zipf zu genießen. Am Hausbahnsteig versteht sich.

In Kammer-Schörfling
Im Bahnhof Kammer-Schörfling hatte ich bis zur Rückfahrt ca. 40 Minuten Aufenthalt. Nachdem ich die Situation vor Ort dokumentarisch festgehalten hatte – als ältestes Walzzeichen in den Schienen fand ich “Graz. 1906. MSt.” – habe ich nach einer Labungsstation Ausschau gehalten. Das am nahen Seeufer situierte Haubenlokal mit Seeterrasse sperrte allerdings erst um 18 Uhr auf, das ehem. Wirtshaus gegenüber des Bahnhofs fiel dem Generationenwechsel zum Opfer, wie mir der Herr Bahnhofsvorstand, der offenbar mit Familie im Bahnhof wohnt, mitgeteilt hat. Also ging ich nur zum Seeanleger der Attersee-Schifffahrt hinunter und setzte mich dann auf die gemütliche Holzbank unter der Bahnhofsveranda und wartete auf die Rückfahrt gen Vöcklabruck. Bei mehr Zeit kann man natürlich die 5-10 Minuten ins Ortszentrum gehen oder sich im Notfall ein Pivo im nahen Lagerhaus besorgen, wie mir der Herr Bahnhofsvorstand sagte.
Der Herr Bahnhofsvorstand erzählte mir auch von einem nicht verwirklichten Projekt einer Weiterführung der Strecke von Kammer-Schörfling Richtung Mondsee. Aus der Literatur ist mir bekannt, daß ursprünglich die Trasse ins Salzkammergut nach Ischl über Kammer-Schörfling laufen sollte, die wurde aber dann wie wir heute noch sehen und erleben können über Attnang-Puchheim und Gmunden Richtung Ischl gebaut.
Ausblick (2012)
Wie der Schienenverkehr generell in Österreich hat auch der Kammerer Hansl Potential, neue Kunden zu gewinnen. Man darf halt nicht nur die Schienen verwalten sondern muss aktiv auf die potentielle Kundschaft zugehen – da sind Landespolitik, Gemeindepolitik, ÖBB und Tourismus aufgefordert, sich aktiv pro Schiene einzusetzen. Mit Abstand wichtigster Kunde und Garant für den Weiterbestand der Strecke ist die Lenzing AG im Güterverkehr. Im Personenverkehr sieht es nicht so rosig aus, auch wenn durch einen Verkehrsdienstevertrag die Aufrechterhaltung des Personenverkehrs vorerst bis 2017 gesichert scheint. Noch in den 1970er Jahren war auch der Personenverkehr auf der Strecke zufriedenstellend. Kannibalisierend und erschwerend für den Kammerer Hansl ist der Busverkehr, den die Firma Stern & Hafferl parallel im Stundentakt Richtung Seewalchen führt.
Für eine vermehrte Anreise von Touristen, vor allem Tagesausflügler, wäre es unbedingt notwendig, zumindest 4 Kurse auch am Wochenende zu führen und so auch die Möglichkeit einer Rundreise mit Einbeziehung der Attersee Schifffahrt zu bieten. Dann könnten mit dem Zug bspw. aus dem Großraum Linz nach Kammer-Schörfling gefahren werden, dort weiter mit dem Schiff nach Attersee und von dort mit der Attergaubahn von Stern & Hafferl nach Vöcklamarkt an der Westbahn. Für Ausflügler aus dem Raum Salzburg bietet sich die umgekehrte Runde an. Angepasste Fahrpläne und Kombitickets wären natürlich Grundvoraussetzung. Oder gar eine Direktverbindung mit Linz, die es in den 1940er Jahren bereits einmal gab.
Links / Literatur
Aschauer, Franz, 1964: Oberösterreichs Eisenbahnen. Geschichte des Schienenverkehrs im ältesten Eisenbahnland Österreichs. Schriftenreihe der oö. Landesbaudirektion, Band 18. Wels. (Vöcklabruck – Kammer-Schörfling Seite 73 und 74).
DEEF-Doku Attersee-Schifffahrt >>>
DEEF-Doku Westbahnstrecke >>>
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Bericht von: Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum, Chefredakteur Railway & Mobility Research Austria / DEEF
Erstmals Online publiziert: / page first published 13. Mai 2012; Seiten-Relaunch 17.5.2025; Letzte Ergänzung / page last modified 18.5.2025