Die längste Strassenbahnlinie der Welt – die Kusttram in Belgien
Allgemeines
Die Kusttram ist eine meterspurige, von 600 Volt Gleichstrom angetriebene, Überlandstraßenbahn in Belgien und gilt mit ihrer Streckenlänge von ca. 67 Kilometern mit insgesamt 67 Stationen als die längste Straßenbahn der Welt. Sie verbindet alle Orte der belgischen Nordsee-/Atlantikküste von De Panne im Südwesten an der französischen Grenze über Oostende und Blankenberge bis nach Knokke im Nordosten an der Grenze zu den Niederlanden.
Diese Überlandstraßenbahn ist ein Relikt eines ehemals weit ausgedehnteren Netzes an Strassenbahnen im Westen Belgiens der Gesellschaft “Nationale Maatschappij Van Buurtspoorwegen” (abgek. NMVB), bzw. französich “Société Nationale des Chemins de fer Vicinaux” (abgek. SNCV), zu deutsch “Nationale Kleinbahngesellschaft”. Die Geburtsstunde der Kusttram schlug im Jahr 1885, der Netzausbau erfolgte in mehreren Etappen.
Von besonderer Bedeutung ist die Kusttram heute auch für den Tourismus, macht doch ihr großzügiger Fahrplan die Touristen unabhängig vom Auto und entlastet somit Straßen und Umwelt.
Wie bei den Recherchen zu beobachten war, stößt die Kusttram allerdings oftmals an ihre Kapazitätsgrenze und die Züge waren trotz des Viertelstunden-Taktes proppenvoll und Sitzplätze rar.
Meilensteine der Geschichte
1885: Am 5. Juli 1885 Eröffnung des 1. Abschnitts von Oostende nach Nieuwpoort als Dampfstraßenbahn (1. Überlandstraßenbahn Belgiens)
1886: Nieuwpoort – Veurne fertiggestellt
1886: Oostende – De Haan – Blankenberge, bis De Haan ähnlich wie im Westabschnitt weiter im Landesinneren gelegen
1890: Abschnitt Oostende – Knokke fertiggestellt
1897: Parallel zur älteren Strecke küstennäher von der TEOL (Tramways Électriques d´Ostende – Littoral) errichtete Strecke Oostende – Mariakerke – Middelkerke eröffnet, von Beginn an elektrifiziert, Verlängerung 1903 nach Westende
In der Folge entstanden mehrere Anschlußstrecken und Stadtverkehre
1905: Nordöstlich von Oostende bis De Haan neue Linienführung wie heute eröffnet
1908: Blankenberge – Heist, dort trifft man auf die seit 1890 bestehende Strecke nach Knokke
Kurz vor 1. WK: Verlängerung von der älteren Strecke her nach De Panne
1912: Elektrifizierungsmaßnahmen, der Fahrdraht erreicht von Oostende aus Knokke
Von Knokke aus entstanden 2 Anschlußstrecken in die Niederlande
Von Knokke aus bestand schon länger eine Verbindung nach Brügge
Im 1. WK grosse Zerstörungen
1927: Das zersplitterte System wird von einem Gesamtbetreiber „SELVOP“ übernommen
1928-1930: Neue Streckenführung Westende – Nieuwpoort – De Panne
1930: 1. elektrischer Zug erreicht De Panne, Strecke nun 2-gleisig ebenso wie Knokkke – Brügge
1932: Umspurung einer 600 mm Lokalstraßenbahn nach De Panne Adinkerke
>> Grösste Ausdehnung des Küstennetzes
In nur wenigen Jahren im 2. WK bzw. danach 1951-1956 erfolgt ein Kahlschlag des verästelten Netzes (zuletzt Knokke – Brügge bzw. De Panne – Adinkerke) auf 1 lange Strecke
1956: Nach Auflösung SELVOP ist ab 1.1.1956 der Betreiber die SNCV
Einstellung innerstädtischer Verkehr Knokke (1957) und Oostende (1958)
1960er: Einstellungsgefahr
1977: Entscheidung zur Modernisierung, grundlegende Verbesserung des Oberbaus und der Stromversorgung und Anschaffung neuer 1-Richtungs-Fahrzeuge, geliefert von BN (La Brugeoise et Nivelle/Brügge, heute Bombardier)
1991: Fällt die Kusttram an den neuen Betreiber De Lijn
1998: (Wieder-) Eröffnung Abschnitt De Panne Esplanade – De Panne Adinkerke (SNCB), aber auf einer andere Trasse als wie der 1956 stillgelegten
Weitere Modernisierungen des Wagenparks (Einbau von Niederflur-Mittelteilen) zwischen 1994 und 1996 sowie die restlichen Fahrzeuge ab 2002
2019: Neuer Linienverlauf im Raum Lombardsijde (Ortsteil der Gemeinde Middelkerke) mit Entfall von Halten und neuen Stationen
2019: Einführung neuer Fahrzeuge (Urbos 100 von CAF)
>> Weitere Ausbaupläne werden geschmiedet (u.a. Verbindung De Panne – Dünkirchen)
Betrieb
Für die Gesamtstrecke benötigt die Kusttram knapp 2 1/2 Stunden, die Fahrt ist abwechslungsreich, da die Kusttram zeitweise durch Dünen, dann wieder durch dichter verbautes Gebiet rollt und zwischen Oostende und Middelkerke fährt die Tram direkt an der Küste, am Wasser, entlang. Tagsüber fährt alle 10, 15 oder 20 Minuten eine Kusttram, abends alle 30 oder 60 Minuten.
Fahrkarten: Sind an einigen Schaltern, bei Fahrkartenautomaten, beim Trambahnfahrer (gegen Aufpreis) erhältlich oder man bucht im Internet ein Onlineticket aufs Handy. Für einen Tagesaufenthalt empfiehlt sich eine Tageskarte für unbegrenztes Fahren (5 Euro 2013; 7,50 Stand 2023) oder bei einem längeren Aufenthalt eine 3-Tageskarte um 15.- Euro (Stand 2023). Daneben gibt es natürlich auch Einzelfahrkarten oder Mehrfahrten-Karten. Die Einzelfahrt kostet 2,50 Euro. Die bis vor kurzem geltenden Zonentarife (die Strecke der Kusttram war in 15 Zonen eingeteilt) sind Geschichte – der Betreiber hat das “Ticketing” deutlich vereinfacht.
Zusätzlich zu den normalen Strassenbahnen mit Halt in allen Stationen verkehrten zwischen 2007 und 2015 “Sneltrams” (Produktname “X-tra”) zwischen Nieuwpoort und Oostende mit dortigem Anschluss an die Intercity der Belgischen Staatsbahn Richtung Brügge-Gent-Brüssel-Leuven-Lüttich bis nach Eupen (IC-Linie A).
Betrieben wird die Kusttram von der Betreibergesellschaft De Lijn, welche in Flandern auch die meisten Autobuslinien betreibt (wie in Wallonien die TEC).
Eingesetzt werden 2 Fahrzeugtypen, nämlich
die altbewährten ab 1977 eingeführten und in 2 Tranchen ab 1994 mit einem Niederflurmittelteil versehenen Einrichtungsfahrzeuge von BN, insgesamt 48 Stück. Ähnliche Triebwägen aber als Zweirichtungsfahrzeuge sind bei der Stadtbahn in Charleroi in Verwendung.
neue vollständige Niederflurtriebwägen Urbos 100 des spanischen Herstellers CAF, welche ab 2019 die BN-Straßenbahnen ersetzen werden (ebenfalls 48 Stück)
Stationen: Bis zur Trassenverlegung 2019 im Ortsbereich von Lombardsijde gab es 69 Stationen, seither 67.
Anschluss der Kusttram an das Belgische Eisenbahnnetz
Anschluss an das belgische Eisenbahnnetz hat die Kusttram an insgesamt 5 Stellen:
De Panne Adinkerke
Oostende
Der teilweise heruntergekommene Bahnhof inkl. Gebäude war im Jahre 2013 und folgend einer Sanierung unterzogen. Der Kopfbahnhof ist Endpunkt der Linie 50A, u.a. IC-Züge nach Eupen über Brüssel und Lüttich. Im Vordergrund rechts ausserhalb des Bildes ist die Station der Kusttram mit Fahrkartenschalter.
Blankenberge
Das Bahnhofsgebäude von Blankenberge wurde 1937 eröffnet und spiegelt den Einfluss des berühmten belgischen Architekten Henry Clemens Van de Velde wider. Es wurde 2006 renoviert und wurde 2013 ff. abgerissen und durch einen Neubau mit 2 Hotels, Wohnanlagen und einem Parkhaus ersetzt. Auch das beliebte Bahnhofsrestaurant fiel dem Neubau zum Opfer.
Zeebrugge
Zeebrugge ist der Hafen der Stadt Brügge und mit dieser durch einen Kanal verbunden. Zeebrugge gilt als der modernste Hafen Belgiens und ist der zweitgröße nach Antwerpen.
Knokke
Der zweigleisige Kopfbahnhof der Linie liegt fast direkt neben der Wendeschleife der Kusttram und der Zufahrt zum Depot / Werkstatt.
Depots und Oldtimer
Depots (Remisen) für die Kusttram hat es in Ostende und in Knokke-Heist, wobei im letztgenannten auch zahlreiche Oldtimern gewartet und unterstellt sind. Auch in De Panne werden in einer Wagenhalle noch weitere Oldtimer museal behütet und zeitweise der Öffentlichkeit (Museum) präsentiert. Zu besonderen Anlässen kommen die Oldtimer auch im Netz der Kusttram zum Einsatz, auch können Nostalgiefahrzeuge für Sonderfahrten angemietet werden.
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Entlang der belgischen Nordseeküste von De Panne über Oostende nach Knokke – Ein Foto-Kaleidoskop
Links, Literatur
Groneck, Christoph und Stein, Dirk Martin, 2009: Metros in Belgien. Métro-Premetro-Tram. Bruxelles/Brussel, Antwerpen, Gent, Charleroi, Kusttram (Oostende), Liège. (U-Bahnen in Europa, Band 10), Berlin.
Röll, Victor Freiherr von (Hrsg.), 1912: Belgische Eisenbahnen. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 176-190.
Röll, Victor Freiherr von (Hrsg.), 1912: Belgische Nebenbahnen. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 197-203
Michael Alexander Populorum: Strassenbahnen Europas (1): Die Kusttram in Belgien. Mit der längsten Strassenbahn der Welt entlang der Belgischen Küste. Schriftenreihe des Dokumentationszentrums für Europäische Eisenbahnforschung (DEEF), Band 8, 3. Auflage 2017 als E-Book (USB-Karte, pdf+ Bonusmaterial, ursprünglich 1. Auflage 2013), ISBN 978-3-903132-03-0; Mercurius Verlag Grödig/Salzburg, Preis Euro 19,50
Details/Bestellung >>>Skelsey, Geoffrey, 2009: Trams through the dunes – the Belgian Coastal Tramways 1885-2010
Offizielle Webseite der Kusttram: www.dekusttram.be
Nahverkehr in Flandern / Webseite des Betreibers DeLijn: www.delijn.be
Belgische Staatsbahn SNCB / NMBS: www.sncb.be
Belgische Staatsbahn Infrastruktur: www.infrabel.be
Freunde der Kusttram, Oldtimer: www.ttonoordzee.be/
125 Jahre Kusttram 2010: http://125jaarkusttram.be/
DEEF-Doku Bahnhof Blankenberge >>>
DEEF-Doku Bahnhof Oostende >>>
DEEF-Kategorie Straßenbahnen >>>
Text / Fotos / Videos copyright DEEF / Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum.
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Bericht von: Dr. Michael Alexander Tiberius Populorum, Chefredaktor Railway & Mobility Research Austria / DEEF
Erstmals Online publiziert: 8. September 2013; Relaunch der Seite: 24.3.2023; Letzte Ergänzung / page last modified: 27.3.2023