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Autor: Dr. Michael Populorum, 21.10.2012 Ich nahm ab Ibk. Hbf. im 4er „Business-Abteil“ des RJ 165 Platz und wollte die Speisekarte sehen, denn der neu in Designerklamotten gesteckte und nicht als solcher sofort erkenntliche Steward bei der Hinfahrt im IC 542 hatte mir von der neuen Speisekarte erzählt, die seit Donnerstag im Railjet aufgelegt ist. Aha, dachte ich mir, Attila wagt sich endlich aus der Deckung, zwar nicht mit dem Namen Do & Co sondern eben mit der Submarke „Henry am Zug“.
Die adrette ungarische Serviertochter brachte denn auch die neugestylte
Speisekarte, die nur mehr aus einem etwas mehr als DIN A4 großen Blatt
besteht, wobei auf der Vorder-wie auf der Rückseite das gleiche zu lesen
ist. Also stellte ich mir – trotz meiner aktuellen Bestrebungen den Wohlstandsbauch zu verkleinern und wieder sportlicher zu sein – ein 3 gängiges Menü zusammen. Dazu gab es gratis ein Businessgetränk (ob meiner guten Vorsätze und der Tageszeit einen gespritzten Apfelsaft statt Bier oder Wein).
Nach kurzer Zeit – nur wenige Minuten – kam die
steirische Kürbisschaumsuppe (3,90). Ich glaubte meinen Augen nicht
zu trauen – die Suppe wurde in einem
Pappendeckelbecher serviert!! Bin ich jetzt am Fußballplatz oder in
der Businesskasse des Railjet mit dem angeblich so tollen Catering von
A.D.??
Na bumm, ich frage mich schon, was meine Schweizer Freunde, die noch den Transalpin mit Speisewagen erleben durften, zu so einer Barbarei sagen werden. Groß prangte auch noch das MHD (Mindesthaltbarkeitsdatum) drauf, was den optischen Genuß nicht unbedingt verbesserte.
Die Suppe an sich war in Ordnung, sämig mit viel (echtem??)
Kürbiskernöl drinnen und ganzen Kürbiskernen. Nett die beiden kleinen
Salz- und Pfefferstreuer.
Die hausgemachten Butterspätzle waren auch
sehr eigen, unförmige flache Fetzen die nicht
gerade ästhetisch aussahen – welche Mutti steht denn da am hauseigenen
Herd?
Danach entscheide ich mir für einen Zwetschkenfleck, da kann wohl am wenigsten schiefgehen dachte ich mir schon. Der Fleck kam prompt, eh klar, eingeschweißt in Folie, die wie in einem Labor mit einem großen Aufkleber mit MHD versehen war. Das Besteck war übrigens nicht aus Plastik sondern schon (noch) aus Edelstahl.
Ich hatte noch nicht aufgegessen – wir waren gerade im Bereich Bad Endorf unterwegs – als die Serviertochter kam und kassieren wollte. „Kassieren, Kassa wird geschlossen“. Auch so eine Unart, aber an diesem Tag wohl das geringste Übel. Fazit: Die Enttäuschung ist riesengroß. Da ich im Railjet sitze kommt mir der Vergleich in den Sinn, wie herrlich das Fahrzeug doch vom Marketing gepriesen wurde und noch wird aber die Realität sieht ja bekanntermassen anders aus. Offenbar auch hier, also scheint dieser „Henry am Zug“ perfekt zum RJ zu passen!
Ansonsten kann ich nur sagen, daß das ein gewaltiger Rückschritt ist
und es bleibt zu hoffen, daß die ÖBB (zumindest auf Druck der Passagiere)
sich den Caterer ordentlich zur Brust nehmen. Suppe im Pappbecher, dieses
wahrlich nicht berauschende Paprikahendl mit seinen verkümmerten
„hausgemachten Butterspätzle“ sowie eine eingeschweißte Nachspeise sind
wirklich der Tiefpunkt in der schon mehr
als hundertjährigen Speisewagentradition in Österreich – wobei es
einen wirklichen Speisewagen in diesem RJ ja nicht gibt und die bequemen
Vollspeisewagen statt an die Intercitys angehängt jetzt abgestellt in Wien
einer unsicheren Zukunft entgegengammeln. Ob sich die Karte bald ändern wird oder regelmässig saisonal adaptiert wird (wie das lobenswerterweise in der Vergangenheit ja passierte) wird sich weisen. Jetzt durch das herrliche Alpenvorland des Chiemgau gleitend, Kühe friedlich grasend auf den immer noch saftig grünen Wiesen, die jedoch schon von herrlich gelb, rötlich bis braun verfärbten Bäumen gesäumt werden, da denke ich zurück an meine Fahrt kurz nach der Matura mit meinem Schulkollegen Donat quer durch Österreich. Wo wir mit dem Transalpin über den Arlberg rollten und uns im bequemen Speisewagen des 4010er ein 3-gängiges Menü serviert wurde. Ich erinnere mich immer noch daran was es gab – eine Frittatensuppe, ein Wiener Schnitzel vom Kalb mit Erdäpfel und Reis (kein Risibisi) und danach eine Sachertorte – mit oder ohne Schlag das weiß ich aber nicht mehr. Wir wurden auch während des Essens nicht von einer ungarischen Serviertochter zum Zahlen aufgefordert sondern der mit einem weissen Dinnerjacket und weissen Handschuhen bekleidete Kellner fragte uns in gutem Wienerisch, ob er uns noch Beilagen von seinem silbernen Tablett servieren darf. Wie sich doch die Zeiten ändern…. Die Speisekarte (Auszug, Stand 21.10.2012)
Frisch zubereitet
Süsses aus eigener Mehlspeisküche
Nachtrag:
Bei der Rückreise von meinem Tagestrip nach Bozen am 23.10. im RJ 661
ein Riesen Schinken-Käse Baquette (3,90) geordert. Ältere Beiträge von DEEF: Zum Abschied von e-express - Dinner im RJ 42 (30.3.2012) >>> "Railjet Premium" - ein authentischer Reisebericht zum Ende der Ära (28.3.2012) >>> Railjet Premium: "Ansaufen ja, Essen nein" - Erlebnisprotokoll von Alfredo (22.1.2012) >>> mehr Wo sind denn bloß die Speisewägen hinverschwunden? (19.1.2012) >>> mehr Umfangreiche Restauranttests von Dr. Michael Populorum siehe: "Der Pfannengucker" http://www.populorum.de/derpfannengucker.htm Ihre Meinung? redaktion@dokumentationszentrum-eisenbahnforschung.org
Schnappschuß der brandneuen Karte
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Alle Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors wieder. Beiträge (Blogs) von anderen Autoren (Bloggern) sind gerne willkommen. Die Beiträge dienen dazu, die Öffentlichkeit zu informieren und zu sensibilisieren. Der investigative Journalismus soll zu einer Verbesserung der Dienstleistungen im Eisenbahnsektor Anstoß geben und ist nicht Selbstzweck sondern dem Wohle der Eisenbahn verpflichtet Bericht von: Dr. Michael Populorum, Chefredakteur DEEF; Erstmals online publiziert: 21. Oktober 2012; Ergänzungen: 26.10.2012 |
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Samstag, 02. Mai 2015 11:23:43 +0200
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