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Die Liberalisierung des Schienenmarktes in Europa, die von der EU ja gefordert und in den sogenannten 4 Eisenbahnpaketen auch schriftlich dargelegt wurde, rückt mit Riesenschritten näher, auch wenn einige Länder - darunter Österreich - das immer noch nicht wahrhaben wollen. Während es beim Schienengüterverkehr schon seit Jahren recht bunt auf Österreichs Schienen zugeht, -zig Eisenbahnverkehrsunternehmen neben dem Platzhirsch ÖBB tagein und tagaus erfolgreich Güterzüge in unserem Land und durch unser Land hindurch befördern und das niemanden mehr aufregt, ist die Lage beim Personenverkehr (Nah- und Fernverkehr) deutlich anders. Hier kommunizieren Platzhirsch ÖBB und die mit ihnen "verbandelten" tradierten Player wie das (linke) Verkehrsministerium, die Gewerkschaft und die Kämmerer, fast so wie wenn die Welt untergehen würde wenn man Verkehrsverträge/Konzessionen offen und EU-weit ausschreiben würde. Von steigenden Preisen, Arbeitslosen, ins Ausland abfliessendem Kapital, Qualitätsverlust etc. ist da immer die Rede und auch davon, dass man dann jedes kommunale Verkehrsunternehmen (bspw. die Innsbrucker Straßenbahn) ausschreiben müsste.
Da wird von den Besitzstandswahrern viel verbal getrickst, um ja keine seriöse Diskussion aufkommen zu lassen. Und verfolgt man die Äusserungen von diversen Anhängern dieser tradierten Kräfte in den Sozialen Medien, so muss man ernsthaft daran zweifeln, dass diese Personen (u.a. auch viele "Eisenbahnfans") überhaupt verstanden haben, um was es geht.
Letztens auf der Jahrestagung der Österr. Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft (ÖVG) 2017 in Salzburg referierte der ehem. Bayerische Ministerialdirigent Wellner über seine Erfahrungen mit der Ausschreibung von Nahverkehrsleistungen in Bayern, für die er damals verantwortlich zeichnete. Die Maßnahmen waren ein voller Erfolg, mit der gleichen Menge Geld konnten durch die Ausschreibungen 50% mehr Leistung für die Fahrgäste in Bayern ausverhandelt werden, also 50% mehr Geld durch die Ausschreibung als ohne durch die Bestellung beim teuren ehem. Monopolisten Deutsche Bahn. Er forderte Österreich explizit dazu auf, auch diesen Weg zu gehen und Vorurteile über Bord zu werfen.
Es ist ja wahrlich grotesk, jedes Unternehmen oder auch viele Privatpersonen holen sich Angebote ein, wenn es um Beträge von einigen Hundert Euro oder gar darunter geht. Aber wenn pro Jahr wie in Österreich über 600 Millionen Euro für die Abgeltung der Gemeinwirtschaftlichen Leistungen aufgewendet werden, dann soll alles ohne Vergleich von Preis und Leistung an einen Monopolisten vergeben werden - eine Chuzpe der Sonderklasse!
Jahrelang in
Österreich schon diskriminiert und beim Betrieb von den
"Besitzstandswahrern" behindert -
Nachfolgend eine Presseaussendung vom 6.7.2017 von Allrail zu dieser Thematik. Gibt es eine
geheime Agenda von Staaten, die Wettbewerb im Bahnverkehr
In Belgien ist Sabena längst Geschichte, ein weiteres Beispiel ist auch Olympic Airlines aus Griechenland. Die Liste lässt sich noch fortsetzen. Daraus lässt sich schließen, dass der Umgang der Mitgliedsstaaten mit den staatlichen Fluglinien ihr Verschwinden eher beschleunigt hat, statt sie durch fehlenden Wettbewerb zu beschützen. Diese Entwicklung wurde häufig durch schlechtes Management oder eine zu große und ineffiziente Belegschaft verstärkt, die noch dazu durch staatliche Vergünstigungen gefördert wurde. Am Ende haben durch einen gesunden Wettbewerb, Effizienzgewinne und wettbewerbsfähigere Tarife Unternehmen aus der Privatwirtschaft gewonnen.
Ist ein ähnliches Szenario im Bahnbereich zu erwarten? Mit ihrem 4. Eisenbahnpaket ermöglicht die Europäische Kommission spätestens ab 2023 den vollständigen Wettbewerb im Schienenpersonenverkehr. Es liegt auf der Hand, dass das zum Vorteil der Kunden, der Steuerzahler und des gesamten Sektors gereicht, weshalb es zumindest seltsam ist, wenn manche Länder Strategien anwenden, den Wettbewerb möglichst lange hinaus zu zögern, wenn sich das für den Flugverkehr als so erfolglos herausgestellt hat. Die Länder könnten den Markt für den vollen Wettbewerb schon morgen öffnen und dadurch die Effizienz und den Vorteil für die Kunden erhöhen – und das Alitalia-Szenario vermeiden.
In EU-Mitgliedsländern wie Deutschland, Grossbritannien und Schweden fordern private Anbieter schon länger im Wettbewerb die staatlichen Eisenbahnen heraus und fördern damit langfristig diese Strategie. Andere Mitgliedsländer tun alles, um Wettbewerb möglichst lange zu verzögern, mehr und mehr scheint sich aber die Einsicht durchzusetzen, dass dies nicht besonders klug ist.
Dänemark hat erst vor kurzem verkündet, jetzt voll auf Wettbewerb bei gemeinwirtschaftlichen Leistungsbestellungen und generell im Bahnverkehr zu setzen. Auch Frankreichs neuer Präsident will das System ändern, um Wettbewerb durch Betreiber, die nicht der SNCF gehören, voran zu bringen. In Deutschland schätzen die Regionen die Vorteile, die der Wettbewerb für den Regionalverkehr bringt. Es stellt sich also folgende Frage: Was bewegt Mitgliedsstaaten, alles zu unternehmen, um den Ausschreibungswettbewerb möglichst lange zu verzögern und neuen Mitbewerbern den Markteintritt möglichst schwer zu machen?
Es gibt zwei mögliche Erklärungen für die Pläne dieser Mitgliedsländer: Die Hoffnung, doch irgendwie genug Glück zu haben, um im folgenden Wettbewerb durch ein Wunder als Staatsbahn erfolgreich zu bleiben (möglicherweise durch die Versorgung mit gesponsertem Rollmaterial) oder ein versteckter Plan, um langfristig das Problem von Staatsbahnen nach dem Airline-Modell zu lösen. Mittelfristig ist das ein rascher Weg in den Bankrott, mit Abschiedszahlungen und Verkauf oder Schließung. Mehr Optionen bieten sich kaum an. Jede dieser Varianten ist jedoch hoch riskant und äußerst gefährlich für die Volkswirtschaften und die Arbeitsplätze in diesen Mitgliedsstaaten.
Wettbewerbliche Ausschreibungen gibt es z.B. in Deutschland, Schweden, etc., außerdem gibt es open access Betreiber in Schweden, Italien und Tschechien. Wo Wettbewerb stattfindet, lässt sich ein signifikantes Verkehrswachstum, sowohl für die Newcomer, als auch für die Staatsbahnen nachweisen. Außerdem gibt es mehr Wettbewerb bei den Tarifen und ein verdichtetes Angebot sowie – im Falle der neuen Betreiber – geringere Kosten durch Effizienzen. Dieser Prozess wird sich sicher weiter fortsetzen. Der Verkehr wird zunehmen, neue Strecken werden angeboten werden und irgendwann werden die privaten Anbieter die Incumbents beim Verkehrsvolumen, beim Umsatz und in ihrer Effizienz überholen. Die Anzahl der Beschäftigten im Bahnsektor wird ansteigen.
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Alle Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors wieder. Beiträge (Blogs) von anderen Autoren (Bloggern) sind gerne willkommen. Die Beiträge dienen dazu, die Öffentlichkeit zu informieren und zu sensibilisieren. Der investigative Journalismus soll zu einer Verbesserung der Dienstleistungen im Eisenbahnsektor Anstoß geben und ist nicht Selbstzweck sondern dem Wohle der Eisenbahn verpflichtet Bericht von: Dr. Michael Populorum, Chefredakteur DEEF; Erstmals Online publiziert: 07. Juli 2017; Ergänzungen: - |
Last modified
Freitag, 07. Juli 2017 19:52:06 +0200
Autor/F.d.I.v.: Kons. Univ. Lekt. Dr. Michael Alexander Populorum DEEF # Dokumentationszentrum für Europäische Eisenbahnforschung #
Railway Research Austria 2009-2020