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DEEF-Blog 2016: Frankreich: Bahn streikt, Fernbus fährt

Eindrücke von meiner Fahrt per Bus quer durch Frankreich


Im Vorfeld der Fußball EM in Frankreich haben die Eisenbahnergewerkschaften die „Gunst der Stunde“ zu nutzen versucht und einen landesweiten Streik ausgerufen. Der Grund wahrscheinlich wie so oft eine Kleinigkeit, vielleicht sollte eines der „wohlerworbenen Rechte“ seitens des Staates eingeschränkt werden und da trifft man sich in Frankreich und manch anderen Staaten wie Italien nicht wie zivilisierte Menschen am Verhandlungstisch, sondern da wird einfach gleich gestreikt. Ob das das Image der Eisenbahn weiter ruiniert, ob die zahlende Kundschaft dann zum Handkuss kommt und irgendwo strandet, das ist diesen Gewerkschaftlern wohl völlig einerlei.

 

flixbus fernbus frankreich

Im Auftrag von Flixbus France unterwegs


Auf meiner Anreise zum Journalisten-Weltkongress in Angers an der Westküste Frankreichs, die ich über Genf und Lyon geplant hatte, strandete auch ich. Während von der Schweiz aus von einem kleinen Nebenbahnhof in Genf noch ein Ersatzbus nach Frankreich ging und ich über eine Nebenstrecke nach Lyon gelangte, ging es am nächsten Tag einfach nicht weiter. Ausser ich hätte event. einen wegemässigen Umweg über Paris geplant aber dann wäre ich vielleicht in Paris gestrandet, so wie es einigen anderen Teilnehmern des Kongresses erging. Die isländische Delegation bspw. musste sich von Paris bis Angers ein Taxi nehmen und dafür 500.- Euro löhnen. Man sollte das den Gewerkschaftlern in Rechnung stellen, dann vergeht ihnen vielleicht die Lust am leichtfertigen Zerstören des Systems Eisenbahn durch leichtfertig vom Zaum gebrochene Arbeitsniederlegungen.


Nachdem ich gleich um 8 Uhr morgens in Lyon Port Dieu, dem Hauptbahnhof der zweitgrößten Stadt Frankreichs, im Reisezentrum mit einer Liste von 4 Zügen erschienen bin(2 direkte TGV, je 1 IC und TER mit Umsteigen, wobei 1 TGV laut Streikfahrplan auf alle Fälle fahren sollte), musste ich dort doch sogleich wieder kapitulieren. Zum einen sprach dort niemand Englisch (oder wollte nicht), auch nicht Deutsch, nur dieses zwar herrlich anzuhörende aber unlogisch zu sprechende und zu schreibende Französisch. Und die Antwort dieses offensichtlich unterqualifizierten Mitarbeiters (die anderen 2 waren offenbar auch nicht besser gebildet) lautete auf alle meine 4 Verbindungen: „No“. Zur Bekräftigung seines „No“ wurden per Kuli alle meine Wünsche durchgestrichen und ich dann völlig allein gelassen. So vergrault man wirklich Fahrgäste!


Anstatt die Stadt Lyon und ihre Straßenbahn, den Obus und die 4 U-Bahnlinien zu erkunden, ging ich zurück ins nahegelegene Ibis und warf mein Notebook an und gab im Google die Suchparameter „Autobus, Lyon, Angers“ ein. Und ich wurde fündig – in gut 1 Stunde sollte vom Busbahnhof neben dem Hauptbahnhof ein „Flixbus“ abfahren. Fahrzeit mehr als 9 Stunden, Preis 22.- Euro. Im Vergleich dazu der Zug: Regionalzug mit Umstieg ca. 8 Stunden, Preis ca. 80 Euro. TGV 4 Stunden, Preis geschätzt in der 1. Klasse ca. 130 Euro. Vom Preis her der Bus also unschlagbar.


Der Busbahnhof widerspiegelte noch nicht den Boom, den die Fernbusse in Europa momentan erleben, ein eher schmuddeliger Parkplatz ohne jegliche Infrastruktur. Keine Überdachung, keine digitalen Anzeigen, kein Ticket/Buchungsschalter, kein Warteraum, nicht mal eine Bank – zahlreiche Menschen hockten auf Betonabsperrungen, die den Parkplatz eingrenzten und warteten auf die Ankunft ihres Busses.


Mein „Flixbus France“ kam pünktlich. Ich zog mein Lenovo Yoga aus dem Rucksack, wo der Touchscreen schon meine digitale Fahrkarte mit maschinenlesbaren Code zu sehen war. Der Fahrer fotographierte mit seinem Handy den Code ab und sah dann auch in der Namensliste nach und ich auf sein Populorum? mit Michael ergänzte hieß er mich an Bord willkommen. Ich merkte, dass er offenbar sogar Deutsch sprach. Englisch auch wie ich dann bei der Kommunikation mit anderen Kunden merkte. 1:0 gegenüber der Bahn könnte man sagen. Ich war froh an Bord zu sein und auch, dass entgegen meiner Befürchtungen der Bus auch nicht übervoll war. Gut frequentiert aber die meisten Reisenden – so auch ich – hatten neben sich einen freien Platz. Das trug sicher sehr zum Komfort der Reise bei.

 

flixbus fernbus frankreich

Eher trist der Busbahnhof in Lyon. Dahinter das Bahnhofsgebäude Lyon Port Dieu


Der Bus kam aus Grenoble mit Enddestination Nantes und Zwischenstopps in Clermont Ferrand, Bourges, Tours (herrliches Bahnhofsgebäude) und Angers. Dazu ein kurzer Tankstopp, ein kurzer Klo-Stopp sowie ein Stopp an einer Raststätte direkt vor Tours von fast 1 Stunde, weil die seit Clermont Ferrand weibliche Pilotin eine gesetzmässig vorgeschriebene Zwangspause einlegen musste. Ein Herr, der in Tours ausstieg, beklagte das natürlich beim Zwangsstopp und meinte, er wäre jetzt schon zuhause wenn weitergefahren worden wäre.


9 Stunden Fahrt am Stück sind allemal anstrengend, sei es im Zug, im Auto, im Bus oder im Flugzeug. Der Vorteil beim Zug ist halt, dass man etwas mehr „Auslauf“ hat als bei den anderen Verkehrsmitteln. Und ich bin ja ein Eisenbahnjournalist und kein Busjournalist und wollte meine doch sehr bescheidenen Streckenkenntnisse vom Französischen Schienennetz etwas verbessern. Doch da machten mir die streikfreudigen Gewerkschaftler leider einen Strich durch die Rechnung.

 

Aber ich kam endlich zu meinem ersten Test der Fernbusse, wobei ich dafür eigentlich eher eine Strecke von 2 Stunden geplant hatte. Wobei ich in früheren Zeiten doch schon einige Busreisen gemacht hatte, angefangen bei den „Bäderbussen“ als kleiner Bub von Salzburg nach Italien an die Obere Adria (Gabbicce Mare), den Reisen durch Anatolien per Bus in Ermangelung adäquater Bahnverbindungen sowie auch eine Fernreise per Bus von Salzburg nach Istanbul und retour – da ging es 2 Tage und 1 Nacht durch.

 

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Im Bus


Abschließend einige Anmerkungen:

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Der Fahrkartenkauf war unkompliziert, die Buchungsbestätigung aufs Handy hätte mir das Auspacken des Notebooks erspart. Aber es gibt ja eine Buchungs-App fürs Handy, die kann man sich ja – wenn man mehr Zeit als ich in dieser Notsituation hatte – herunterladen

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Der Bus-Chauffeur war freundlich und fuhr gut, machte tw. wie ein Reiseleiter auch Ansagen zu Sehenswürdigkeiten, allerdings nur in Französisch und ich verstand also nur Bahnhof. Die Frau, die ihn ablöste, hatte den Bus gut im Griff und war ebenfalls freundlich. Sprach aber eher nur Französisch

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Der Preis von 22.- Euro ist unschlagbar günstig. Aber offenbar immer noch profitabel, denn Stütze vom Staat gibt es sicher keine für den Busbetreiber und als Privater muss das Unternehmen ja zumindest kostendeckend arbeiten. Die Preise der Bahn im Vergleich dazu sind einfach unverschämt hoch
Zusätzlich gab es noch einen 5.- Euro Gutschein, den eine Mitarbeiterin von Flixbus bei der Abfahrt verteilte. Anreiz also für eine weitere Reise und diese wird dann noch günstiger

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Bei den Bus-Chauffeuren der privaten Busunternehmen ist auch sicher nicht so leicht mit Arbeitsniederlegungen zu rechnen, man hat also eine höhere Gewissheit, die geplante Reise auch antreten zu können

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Der Busterminal in Lyon ist ein grindiger Parkplatz, da punktet auf alle Fälle der Bahnhof der Eisenbahn. Da besteht Handlungsbedarf seitens der Kommune von Lyon

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Vom versprochenen XXL-Platzangebot (Sitze) im Bus keine Spur. Der Bus war zwar modern fuhr aber offenbar auch Schülertransporte wie am Schild auf der Windschutzscheibe erkenntlich war. Es war eher eng, zum Glück wie schon eingangs erwähnt war meist nur 1 Sitz pro Zweierbank belegt. Sonst wäre es wahrlich zu eng geworden

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WLAN gab es auch nicht obwohl das offenbar bei Flixbus Standard sein soll. Wobei der Sitzabstand so eng war, dass ich selbst mein kleines Yoga-Notebook nicht mal ganz aufklappen konnte

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Auch Steckdosen gab es keine

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Schmerzlich vermisst habe ich die Möglichkeit, gekühlte Getränke zu kaufen. Es gab schlicht und einfach nichts zu kaufen. Das ist unverständlich bei so langen Fahrten und man nimmt sich damit auch die Möglichkeit zu Zusatzeinnahme

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Klo gab es an Bord, die Chauffeurin meinte allerdings, wenn geht soll man sein Geschäft besser an der Raststätte erledigen. Beim längeren Stopp an der Raststätte wurde das Klo entleert, offenbar war es voll und man konnte es davor nicht mehr nutzen

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Die Stationen der Zwischenhalte waren alle im Stadtzentrum. Zum Aus-/Zusteigen optimal, aber in Summe doch mit einem Zeitverlust von je mindestens einer halben Stunde verbunden, der die Fahrt von Lyon nach Angers um gut 1,5 Stunden verlängerte. Dazu noch der Stopp auf der Autobahnraststätte zwecks Ruhezeitregelung für die Chauffeurin von fast 1 Stunde haben in Summe die Fahrt um mindestens 2,5 Stunden verlängert im Vergleich zum direkten Durchfahren auf der Autobahn

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War die Fahrt anfangs durch die hügelige Landschaft der Auverne mit kräftigen Steigungen auf der Autobahn und zahlreichen Tunnels noch abwechslungsreich, so wurde die Fahrt je länger man unterwegs war eher monoton. Da braucht man auf alle Fälle eine Reiselektüre oder andere Abwechslungen

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Das Publikum an Bord war bunt gemischt hinsichtlich Geschlecht und Ethnien (neben typischen Franzosen auch Kopftuchweiber, Negroide und Neofranzosen aus dem Maghreb). Eher junge Leute aber auch ein paar Ältere, event. auch wegen dem Bahnstreik. Aber durchwegs Inländer, also Franzosen. Mit einem davon kam ich gut ins Gespräch, ein Architekturstudent aus Grenoble, der Bekannte in Nantes besucht. Zeit spielt weniger Rolle, eher der Preis. Der Bus ist da optimal. Und er hatte ein dickes Buch zum Zeitvertreib dabei


Apropos Raststätten auf Französischen Autobahnen: Wie habe ich mich gefreut auf ein kühles Bier. Ich bestelle es doch die Dame sagt „No“. Hm, wie?? Man klärt mich auf: Es gibt eine gesetzliche Regelung, wonach kein Alkohol ausgeschenkt wird in den Raststätten auf Autobahnen. Gleichgültig ob man Fahrer ist oder so wie ich Fahrgast. Außer: Man bestellt was zum Essen. Ok, ich zeige auf einen kleinen Salat. Wiederum: „No“. Ich werde wieder aufgeklärt: Es muss schon eine warme Hauptmahlzeit sein, dann gibt es etwas Alk, ansonsten „NO“. Da ich weder Hunger habe noch Lust, mich diesem Diktat zu ergeben, kaufe ich mir eine 1,5 Literflasche Mineralwasser, die, wie ich dann feststellen mußte, auch keine „Perlen“ enthielt, also normales Wasser war. Aber zumindest gut gekühlt war das H2O.

 

flixbus fernbus frankreich

Tankstopp


Geschlaucht aber doch zufrieden, überhaupt eine Möglichkeit gehabt zu haben, rechtzeitig zum Kongress zu kommen, stieg ich in Angers nach mehr als 9 Stunden aus dem Flixbus aus, direkt im Zentrum neben dem Bahnhof St. Laud und unweit meines Mercure, wo Zimmer, Dusche und ein Bett warteten. Und dazwischen endlich ein gut gekühltes BIER :-)


Zum Unternehmen FlixBus:

 

Das Unternehmen wurde 2011 unter dem Namen GoBus gegründet und 2013 in FlixBus umfirmiert. Seit der Fusionierung mit dem größeren Fernbusanbieter MeinFernbus im Jahr 2015 ist das neue, nun seit 2016 so genannte Unternehmen Flixmobility GmbH der größte Fernbusanbieter im deutschsprachigen Raum (Marktanteil Deutschland über 70%). Mit Kooperationspartner (viele Fahrten werden durch regionale Busunternehmen durchgeführt) und Tochterunternehmen werden täglich über 10.000 Direktverbindungen in Europa angeboten. In Österreich sind u.a. das Eisenbahnunternehmen WESTbahn GmbH sowie das Busunternehmen Blaguss Kooperationspartner. Durch die Einführung des Fernbussystems nach der Liberalisierung des Fernbusverkehrs im Jahr 2013 sind nach Schätzungen ca. 10.000 neue Arbeitsplätze direkt und indirekt allein durch FlixBus geschaffen worden.

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Bericht von: Dr. Michael Populorum, Chefredakteur DEEF;  Erstmals Online publiziert: 26. Juni 2016; Ergänzungen: -

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Last modified  Sonntag, 26. Juni 2016 21:06:15 +0200
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