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"Interessantes Dach und das war's" - so könnte man den ersten Eindruck beschreiben, den ich nach der Teileröffnung der neuen Verkehrsdrehscheibe in Wien gewinnen konnte. Eigentlich wurden die ersten Gleise für den Regionalverkehr ja schon letztes Jahr in Betrieb genommen, diejenigen für den Fernverkehr hat man offenkundig nicht fertiggekriegt und so wurde eigentlich nur die Eröffnung des Interspars und einiger weitere Geschäfte und Freßbuden gefeiert. Mit bekannt hausbackenen Methoden, die man von den ÖBB-Bahnhofsfesten her kennt und ein bisschen Showeinlagen zusätzlich auf einer Bühne. Dafür war jede Menge Prominenz vor Ort, es fehlte eigentlich nur der Herr Bundeskanzler aber der fehlt ja bekanntlich öfters mal.
Da ich den Bahnhof schon vom Rohbau vom letzten Jahr her kannte, als ich auf einen Zug am Bahnsteig wartend ob der suboptimalen Dachkonstruktion vom Nieselregen besprüht wurde, hatte ich gehofft, dass die Planer und Architekten doch noch ein paar Highlights für den neuen Hauptbahnhof der Bundeshauptstadt der Republik Österreich verwirklicht haben. Dass es einem dann schwerfallen würde zu entscheiden, ist der Berliner oder der Wiener Hauptbahnhof schöner, interessanter, wertiger, kundengerechter, nobler etc.
Berlin Hauptbahnhof
Oder wie sieht es mit einem Vergleich zum vom spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava erschaffenen, 2009 eröffneten Lütticher Bahnhof Guillemins aus?
Liege Guillemins
Oder zumindest ein nationaler Vergleich zum neuen Salzburger Hauptbahnhof, dem aktuellen Highlight der Österreichischen Bahnhöfe?
Salzburg
Hauptbahnhof nach der Restaurierung / Umbau im Jahr 2014 -
Die Vergleiche mit den genannten Bahnhöfen erübrigen sich auf den ersten Blick, der Wiener Hauptbahnhof erinnert mich eher an den Bahnhof Wien Praterstern, nur etwas größer. Das angesprochene Dach natürlich werden Sie sagen, aber in den vollen Genuß des Daches kommt man nur, wenn man im Holzturm nebenan (Bahnorama genannt) den Kassenautomaten mit ein paar Euros füttert und dann mit dem Lift nach oben fahren darf. Und das Rautendach von oben betrachten kann und daneben noch einen gläsernen Tower für die ÖBB Manager. Kaum mehr Personal der ÖBB bei den Kunden, hier in Wien in den Managertürmen scheint es offenkundig mehr als genug davon zu geben. "Der Fisch fängt bekanntlich beim Kopf zu stinken an", keine rosigen Aussichten für unsere Eisenbahn in Österreich bei so vielen Manager-Köpfen. Als normaler Bahnkunde fährt man natürlich nicht mit dem Lift nach oben um den Bahnhof zu betrachten und zu beurteilen, ausserdem wird dieser Turm ja scheinbar Ende des Jahres abgerissen. Was bleibt sind die Eindrücke nicht aus der Vogel- sondern der menschlichen Perspektive. Und von unten betrachtet erscheint die Dachkonstruktion gar nicht mehr so gewaltig oder genial, eher schon banal. Und unfunktional, man wird bei leichtem Regen und Wind (letztgenannten gibt es in Wien öfters) naß und es zieht wie in einem Vogelhäusl.
Geht man ins Warme hinunter, so erwarten den Bahnkunden Geschäfte und Freßbuden, ein ordentliches Restaurant mit Rückzugsmöglichkeiten habe ich nicht entdecken können, dazu muß man diesen Bahnhof (oder soll ich sagen Shopping-Center) wieder verlassen. Zugegeben, beim neu umgebauten Wiener Westbahnhof fallen einem auch primär die vielen Geschäfte und Freßbuden auf, doch wenn man in der alten denkmalgeschützten Halle steht so merkt man doch deutlich, dass man in einer Bahnhofshalle steht und es Raum und Weite im Gebäude gibt, interessante Vorboten also zu der nachfolgenden Bahnfahrt. Und ehrlich gesagt, der Salzburger Europark, international mit Preisen für das besten Shoppingcenter europaweit überhäuft, ist um Lichtjahre interessanter als Einkaufsörtlichkeit als der neue Wiener Hauptbahnhof.
Fazit: Der größte Fehler in der Vergangenheit war, den edlen Südbahnhof Nummer 2, errichtet vom k. k. Haus- und Hof-Architekten Flattich, nach dem 2. Weltkrieg trotz nur geringer Bauschäden abzureissen. Der wäre heute eine wirkliche Touristenattraktion und auch für die Reisenden eine würdige Kathedrale der Mobilität.
Stilvolle
Kassenhalle Wien Südbahnhof um 1900 (Architekt Wilhelm von Flattich) -
Doch man entschied sich damals unnotwendigerweise für den Abriss, freuen durften sich natürlich wie auch wohl diesmal die "Baumafiosi" und Grundstücksspekulanten und die Freunderl der Mächtigen. Zum Schaden des Steuerzahlers versteht sich.
Um nochmals den Blick nach Belgien zu wenden - man vergleiche den dortigen Bahnhof Antwerpen Centraal, errichtet um 1900, den man auch abreissen wollte ihn aber sanierte und unter Denkmalschutz stellte, mit dem neuen Wiener Hauptbahnhof. Dann wird der Wiener Bahnhof aber wirklich nur mehr als "Na ja" zu beurteilen sein.
Im Inneren des herrlichen Bahnhofs, er wird als einer der prächtigsten weltweit genannt. Alte Fassade in Kombination mit neuem Glasdach. Unten das herrliche Bahnhofs - Café / Restaurant
Herrlich in diesem Zusammenhang zu lesen ein Artikel in der Zeitung "Die Presse", wo als Hauptursache für die Mittelmässigkeit des neuen Bahnhofs angeführt wird, dass es nie einen Architektenwettbewerb für dieses 250 Millionen Euro teure Projekt gegeben hat. Man glaubt es kaum, aber Wien ist ja bekanntlich anders. Übrigens die Gesamtkosten des Städtebauprojekts Neuer Wiener Hauptbahnhof betragen kolportierte 1 Milliarde Euro, also fast 14 Milliarden in guter und sicherer alter Schillingwährung. Ich darf zum Abschluß noch aus dem Presse-Artikel zitieren:
"Wer der Frage
nachgeht, von wem dieser Entwurf stammt, kommt zu einem überraschenden
Ergebnis. Im Jahr 2004 kürte eine Jury in einem städtebaulichen Wettbewerb
für das Bahnhofsareal zwei Preisträger ex aequo, das Team Theo Hotz/Ernst
Hoffmann und Albert Wimmer. Beide hatten in ihren Modellen die Bahnhöfe
als Baukörper angedeutet: Wimmer als eine Kiste ähnlich jener, die
er am Praterstern realisiert hat, Hotz/Hoffmann als Fantasiegebilde aus
Bandnudeln. Als wenig später die Ingenieurleistungen für den neuen
Bahnhof und die Gleisanlagen vergeben wurden, waren Hotz/Hoffmann und
Wimmer als Teil eines Konsortiums dabei: Bandnudeln und Kiste
entwickelten sich zum Rautendach. Ein Architekturwettbewerb für das
250 Millionen teure Bahnhofsgebäude fand nie statt. Man merkt es dem
Ergebnis an." Nota bene: So mittelmässig dieser Bahnhofsbau geworden ist, so wichtig und sinnvoll ist die neue Funktion als Schnittstelle zwischen Westbahn, Südbahn, Nord- und Ostbahn. Wenn die Züge (vom ICE abgesehen leider erst Ende 2015) durch den 13,8 km langen Lainzertunnel ("Wildschweintunnel") in Verlängerung des Wienerwaldtunnels brausen werden, so kommt es damit zu einer Fahrzeitverkürzung von gut 30 Minuten im Vergleich zum Umweg über den Wiener Westbahnhof und die Verbindungsbahn bspw. Richtung Budapest oder Richtung Graz oder nach Norden Richtung Brünn und Prag (optimale Umsteigeverbindungen tw. vorausgesetzt). Das ist wahrlich ein Quantensprung.
Ab Fahrplanwechsel im Dezember 2014 verkehren als erstes die ICE-Züge aus Deutschland via Passau-Linz-St. Pölten durch den Lainzertunnel nach Wien Hauptbahnhof und weiter zum Flughafen Wien Schwechat. (Leider erst) im Dezember 2015 folgen dann die Railjets aus dem Westen, Süden und Norden sowie wohl einige Intercitys, wobei bei Letztgenannten offenbar auch die ÖBB noch nicht wissen wie das genau ablaufen wird. Nachfolgend darf ich meiner geschätzten Leserschaft einige Fotos vom neuen Wiener Hauptbahnhof präsentieren sowie einige Fotos von der Teil-Eröffnungszeremonie am 10. Oktober 2014. Da ich an diesem Tag beruflich anderwärtig gebunden war, hat die Fotos für DEEF Paul Nikolic geschossen - ihm sei an dieser Stelle besonders gedankt.
v.l.: Kern (ÖBB), Steger (Verkehrsminister), Bures (Ex Verkehrsministerin, Nationalratspräsidentin), Fischer (Bundespräsident), Mitterlehner (Wirtschaftsminister), Häupl (Bürgermeister Wien)
v.l.: Kern, Stöger, Mitterlehner, Häupl
v.l.: Mitterlehner, Häupl
Das Rautendach, entstanden aus Allerweltsentwürfen zweier Architekten (Kiste + Bandnudeln= Raute) ohne Ausschreibung. (4 Fotos von Paul Nikolic für DEEF) Alle anderen Fotos DEEF / Dr. Michael Populorum
Gleis 1 und 2 mit der Station "Wien Hauptbahnhof - Südtiroler Platz" der S-Bahn Stammstrecke
Eingang von der S-Bahn kommend
Hauptebene des neuen Bahnhofs, nach oben geht es zu den Gleisen, nach unten zu weiteren Geschäften
Die neue Clublounge der ÖBB wird erst im Dezember 2014 eröffnet
Die "Freßbuden" links und rechts des Gangs - gemütliches Ambiente sieht für mich anders aus
Sessel am Gang als "Warteraum" - einen echten Warteraum konnte ich nicht finden
Ob sich der alte
"Markuslöwe", Relikt aus dem 2. und 3. Südbahnhof, hier wohlfühlt?
Aussen ist noch nicht alles fertig, der neue Stadtteil entsteht über die nächsten Jahre hin
Die Eingänge
Zur Teil-Eröffnung im Herbst 2014 fand nur Regionalverkehr statt
Dach-Impressionen aussen und innen
Noch ein Tower für die ÖBB-Manager
Der Bahnorama-Turm mit Aufzug. Er soll Ende 2014 abgerissen werden Rückblick
Der neue Wiener Hauptbahnhof entsteht (15.9.2012)
Der Wiener Südbahnhof am Wiedner Gürtel vor dem Abriß (20.4.2009)
Wiener Südbahnhof innen vor dem Abriß (20.4.2009) Ihre Meinung? redaktion@dokumentationszentrum-eisenbahnforschung.org
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Alle Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors wieder. Beiträge (Blogs) von anderen Autoren (Bloggern) sind gerne willkommen. Die Beiträge dienen dazu, die Öffentlichkeit zu informieren und zu sensibilisieren. Der investigative Journalismus soll zu einer Verbesserung der Dienstleistungen im Eisenbahnsektor Anstoß geben und ist nicht Selbstzweck sondern dem Wohle der Eisenbahn verpflichtet Bericht von: Dr. Michael Populorum, Chefredakteur DEEF; Erstmals Online publiziert: 2. November 2014; Ergänzungen: - |
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Samstag, 02. Mai 2015 11:23:52 +0200
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