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DEEF-Blog 2013:

Hiobsbotschaft: Grandiose Angertalbrücke zum Abschuß durch die ÖBB freigegeben?!

Autor: Dr. Michael Populorum, 14.3.2013

"Grandios, majestätisch, in die Landschaft passend, eine herausragende Ingenieursleistung, die letzte ihrer Art, höchst schützenswert" - diese Bezeichnungen treffen zweifellos auf die Angertalbrücke (auch Angerschluchtbrücke) nächst der ehemaligen Haltestelle Angertal auf der Nordrampe der Tauernbahn bei Streckenkilometer 25,1 zu. Nachdem andere mächtige Brücken und Viadukte aus der Entstehungszeit bei den Streckenneubauten vernichtet wurden - wie bspw. die mächtige Pfaffenberg-Zwenberg-Brücke auf der Südrampe nächst der Station Penk oder der Thomasbach-Viadukt auf der Nordrampe, welcher erst 2002 abgetragen wurde, obwohl Interesse an einer touristischen Nutzung angemeldet wurde - ist die Angertalbrücke nun eines der letzten wirklich imposanten Zeugnisse aus der Ära der Errichtung der Tauernbahn (Fertigstellung der Angertalbrücke 1905)

Angertalbrücke Angerschluchtbrücke Denkmalschutz Tauernbahn DEEF Dr. Michael Populorum

Zur Angertalbrücke:

Eiserne Zweigelenks-Bogenfachwerkbrücke von 110,2 m lichter Weite  und einem trapezförmigen Brückentragwerk, Länge 137 m, in 80 m Höhe die Angerschlucht überspannend. Sie verbindet die beiden hochgelegenen Ortsteile Angertal und Vorderschneeberg.

Die theoretische Höhe des Fachwerkbogens beträgt in der Mitte 2,1 Meter und über den Widerlagern 16,1 Meter. Konstruiert und errichtet wurde das Bauwerk von der Brückenbauanstalt Graz der AG R. Ph. Waagner. Die Baukosten beliefen sich auf 395.349,91 Kronen.

Bis zu ihrer Fertigstellung im Jahr 1905 waren insgesamt 76 Eisenbahnwaggons mit je zehn Tonnen Fassungsvermögen und 600 mehrspännige Pferdefuhrwerke nötig um das benötigte Baumaterial zuerst auf der Schiene in die Ortschaft Lend und dann weiter auf der Straße nach Hofgastein zu bringen. An Material wurden insgesamt 522 Tonnen Martinflusseisen, das aus den Werken Donawitz und Zeltweg der Österreichischen Alpinen Montangesellschaft stammte, sowie 31 Tonnen Martinflussstahl, 0,3 Tonnen Roheisenguss und 1,2 Tonnen Blei verarbeitet (nach Viktor Röll bzw. Salzburg Wiki).

Angertalbrücke Angerschluchtbrücke Denkmalschutz Tauernbahn DEEF Dr. Michael Populorum

Die neue Angertalbrücke:

Im Zuge (selektiven) zweigleisen Ausbaus der Tauernbahn wurde ab ab 2006 mit dem Bau einer zweigleisigen Betonbrücke direkt hinter der bestehenden Brücke über die Angerschlucht begonnen. Das 15 Millionen teure Bauwerk ist seit geraumer Zeit (2009) fertiggestellt aber nach wie vor ausser Nutzung, da es verabsäumt wurde, vorab die notwendige UVP durchzuführen. Die daraufhin folgenden Beeinspruchungen verhindern bis heute die Finalisierung des Baus und die Inbetriebnahme. Wie schon bei den ersten Planungen der HL-Strecke durch den Salzburger Flachgau hat man sich seitens des Betreibers äusserst unprofessionell verhalten - von oben herab befohlene Projekte ohne Einbindung der Anwohner das läuft glücklicherweise heutzutage nicht mehr (so leicht).

Überhaupt ist der Bau dieser neuen Angertalbrücke kritisch zu hinterfragen: Die alte Angertalbrücke ist in die Jahre gekommen, aber eine denkmalgerechte Sanierung wäre sicher allemal billiger gekommen als gleich um 15 Mio Euro eine neue Betonbrücke in die Landschaft zu knallen. Und der Bau eines angedachten Tunnels (Schlossalm Tunnel) sowie eines weiteren Tunnels mit Verlegung des Bahnhofs Bad Gastein in den Berg hinein kann man wahrlich nur als sinnlose Hirngespinste bezeichnen. Was soll das bringen - ausser Unsummen an Steuergeldern für die Baulobby??

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Die jetzige Strecke hat mehr als genug Kapazitäten, nach dem drastischen Rückgang der Zugfrequenz (komplette Liquidierung des Regionalverkehrs, drastische Rückgänge im Gütertransport) hätte man sich auch die Neubaumassnahmen in den 2000er Jahren sparen können, denn die Fahrzeit hat sich keinesfalls dadurch verkürzt. Und was würden unsere Gäste sagen wenn sie statt sich an den herrlichen Ausblicke auf die Landschaft des Gasteinertals delektierend nun als U-Bahn durchgeschleust werden würden?! Hier hat man ja bereits kräftig Porzellan zerschlagen im Unterinntal, wo zumindest bei den Railjetfahrten im Tunnel jegliche Reiselust verloren ging. Zum Glück haben die Gasteiner Angst um ihr Thermalwasser und der Staat ist nahezu Pleite, also sollte uns der Unfug einer Verlegung der Tauernbahn in den Berg erspart bleiben.

Was  passiert aber mit der alten Angertalbrücke?

Hier dachte ich kann man sich ruhig zurücklehnen, ist doch eine touristische Nutzung angedacht worden und vor allem steht die Angertalbrücke ja unter Denkmalschutz. Doch ich habe gelernt misstrauisch und wachsam zu sein.

In der vom Bundesdenkmalamt herausgegebenen Liste "Unbewegliche und archäologische Denkmale unter Denkmalschutz" (Stand 28.4.2010) waren insgesamt 17 Denkmäler aus dem Segment Eisenbahngeschichte verzeichnet, darunter auch die Angertalbrücke.

Angertalbrücke Angerschluchtbrücke Denkmalschutz Tauernbahn DEEF Dr. Michael Populorum

Eintrag der Angertalbrücke: Angerschluchtbrücke der Tauernbahn, Bad Hofgastein KG Vorderschneeberg, Vorderschneeberg 40, GstNr.1263. Unterschutzstellung per Bescheid.

Als ich die Liste 2012 (Stand 6.6.2012) kontrollierte das waren es plötzlich nur mehr 16 Denkmäler - die Angertalbrücke war still und heimlich verschwunden.

Meine Nachfrage beim Landeskonservatoriat des BDA in Salzburg wurde von Landeskonservator Hofrat Dr. Ronald Gobiet u.a. wie folgt per Mail beantwortet: "Wegen der Angerschluchtbrücke (auf der Tauernbahn) hat tatsächlich der Oberste Gerichtshof den Denkmalschutz aufgehoben, was wir nicht nur bedauern sondern auch als Verlust sehen." Fernmündlich teilte mir Hofrat Gobiet mit, dass der OGH natürlich nicht aufgrund von Eigeninitiative tätig wurde sondern aufgrund von Insistierungen seitens der ÖBB.

Soviel also zum Thema Eisenbahn (ÖBB) und deren Umgang mit dem historischen Erbe - siehe auch:

Eisenbahn und Denkmalschutz in Österreich - ein Jammer!

Fazit:

Die grandiose Angertalbrücke ist in Gefahr! Hier muß man rasch handeln und die Meldung an die Öffentlichkeit tragen und versuchen diese zu sensibiliseren. Bleibt zu hoffen, dass vor Ort im Gasteinertal noch Menschen leben die sich für die Bewahrung des historischen Erbes einsetzen! Die Angertalbrücke hat es verdient, dass wir sie für unsere Nachwelt retten!

Links:

Eisenbahn und Denkmalschutz in Österreich - Ein Jammer >>>

Eisenbahndenkmäler im Bundesland Salzburg (Liste BDA) >>>

 

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Bericht von: Dr. Michael Populorum, Chefredakteur DEEF;  Erstmals online publiziert: 14. März 2013; Ergänzungen: :

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Last modified  Samstag, 02. Mai 2015 11:23:46 +0200
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