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Zum Niedergang der Reisekultur auf Schienen

Ein Reader in mehreren fortlaufenden Teilen

Teil 1: "Von schmutzigen und kaputten Dingen"

Über schmutzige Fenster, kaputte und versperrte WC´s und defekte Außentüren

Die schmutzigen Fenster

Sommers wie winters, ob es tagelang sonnig und trocken war oder schneite oder regnete, die Fenster der ÖBB Wagen lassen hinsichtlich "klarem Durchblick" ausnahmslos zu wünschen übrig. Es sind diese kleinen eingetrockneten Wassertropfen, die den Blick trüben. Dieses Phänomen trat vor einigen Jahren plötzlich auf. Die Fahrgäste (zumindest die ohne Scheuklappen durchs Leben gehen und für die eine Zugfahrt mehr ist als die schnellstmögliche Distanzüberwindung von A nach B) meldeten dies den Zugbegleitern (ich bevorzuge nach wie vor eher den Begriff Schaffner). Diese meldeten das ihren Vorgesetzten, den "schlipstragenden Managern" (Bemerkung mehrerer Schaffner) in der Konzernleitung.

Als Wochen und Monate danach (zwischenzeitlich sind Jahre vergangen) das Problem immer noch nicht gelöst war und die Schaffner bei den wiederholten Bemerkungen der Reisenden darauf hinwiesen, daß sie das ja nach oben gemeldet hätten, aber sie, das Personal vor Ort "eh nicht ernstgenommen" werden, wurden die Reisenden auch von den Schaffnern ermutigt (wie in anderen Fällen auch), die Beschwerde doch direkt nach oben zu melden, denn - wie eben erwähnt  - sie werden nicht ernstgenommen.

Als ich das Problem einmal einem Kärntner Schaffner meldete, meinte dieser "Jo mei, jetzt hom a mia do in Karntn a so a neue Waschanlage". Hellhörig geworden googelte ich nach "ÖBB + Waschanlage" und wurde fündig. Jubelnd wurde doch da verkündet in den Pressemeldungen - just zu dem Zeitpunkt, wo das Tropfenphänomen erstmals auftauchte - daß in Floridsdorf eine neue Waschanlage um 2,9 Mio Euro in Betrieb genommen wurde. Angeblich die modernste Europas. Da liegt also der Hund begraben.

Man stelle sich nun vor, ein privater Anbieter eröffnet eine neue Waschanlage für PKW und diese PKW verlassen alle mit Kalkflecken auf den Scheiben die Waschanlage. Der Anbieter wird entweder flux seine Anlage besser einstellen oder er wird in Konkurs gehen. Warum nun wird dieser Mißstand bei der ÖBB nicht behoben? Gelangen diese Informationen von der Mitarbeiterbasis und von den Kunden gar nicht nach ganz! oben, versickern sie etwa bei dieser 2. Reihe an Managern, die unangenehme Meldungen einfach filtern, in den Papierkorb wandern lassen statt ihren Chefs zu melden? Ein Bahninsider bestätigte mir nachdrücklich diese Vermutung.

Die kaputten und versperrten WC´s

Daß ein WC - ich meine diese neuen, geschlossenen WC-Systeme, nicht die alten robusten Plumpsklos - einmal versagen kann, das ist natürlich normal. Peinlich nur, wenn der Zug - wie bspw. der Talent - nur 1 WC an Bord hat. Wenn der Talent seiner Konstruktion gemäß nur als S-Bahn eingesetzt werden würde, so wäre das ja noch verschmerzbar, da die Verweildauer an Bord ja nicht allzu hoch ist. Wenn diese Garnituren aber zweckentfremdet Aufgaben des Fernverkehrs übernehmen, dann wird es kritisch!

Weiters ist zu beobachten und zu kritisieren, daß Züge bereits die Ausgangsbahnhöfe mit defekten WC-Anlagen verlassen. Und dann noch tagelang (oder wochenlang?) mit kaputten und versperrten WC´s durch die Lande gondeln. Ein Kollege berichtete mir von einem besonders krassen Fall, der ca. 2-3 Jahre zurückliegt. Er bestieg den EC Joze Plecnik in Selzthal für die Fahrt über die Phyrnstrecke nach Linz. Nach Abfahrt des Zuges stellte sich das Bedürfnis für einen WC-Gang ein. Doch das WC war offenbar defekt und es war versperrt (auch optisch mit einem roten Signal bei der Tür angezeigt). Das sollte aber wohl kein Problem sein, dachte sich der Kollege, der Eurocity hat ja 5 Waggon und somit 10 Toiletten. Doch wie sich herausstellte, waren alle!! WC´s in diesem Zug versperrt. Der Zugbegleiter (Schaffner) ratlos und die Fahrt von Selzthal nach Linz ist ja kein 10-minütiger Ausflug. Da der Schaffner keine Lösung anbieten konnte und sich zurückzog und Not bekanntlich (früher) keine Bahnhöfe kannte und heute keine defekten geschlossenen WC´s, blieb meinem Kollegen und sicher auch anderen Reisenden keine andere Option, als in den Stufenbereich der Aussentüren zu urinieren. Von solchen Vorkommnissen hatte ich bis dato nur aus Reiseberichten über Bahnfahrten in Ägypten gehört.

Die kaputten Außentüren

Es ist vermehrt zu beobachten, daß Züge unterwegs sind bzw. von Startbahnhöfen abfahren, bei denen 1 oder mehrere Außentüren defekt sind . Bei einem EC der DB nach Graz zählte ich neulich (Frühjahr 2011) bei 1 Garnitur und 1 Seite 3 defekte Türen. Solche Züge ließ man früher gar nicht abfahren! Ist das überhaupt mit geltenden gesetzlichen Bestimmungen vereinbar? Ist das ein kalkulierbares Sicherheitsrisiko?

Ursache dieses Mißstandes ist offensichtlich "sparen am falschen Platz". Die Wartungsintervalle wurden verlängert und gewisse Defekte am Wagenmaterial werden nur mehr im Rahmen dieser geplanten Wartungstermine repariert. Wahrscheinlich mangelt es auch an Wagenmeistern vor Ort, die diese oftmals kleinen Ursachen aber mit grosser Wirkung spontan beseitigen können.

Besonders kraß rächt sich solch´ ein Sparen am falschen Platz aktuell in Berlin bei der dortigen S-Bahn. Nachdem man Reparaturwerkstätten geschlossen und Personal (am falschen Platz) eingespart hatte, konnten die Wagen nicht mehr ordnungsgemäß gewartet werden und zwar bei sicherheitsrelevanten Bereichen wie bspw. bei den Radreifen. Unzählige Garnituren mußten aus dem Verkehr gezogen werden mit der Folge, daß auf ganzen Streckenbereichen mangels sicherem Wagenmaterial der Verkehr tw. eingestellt werden mußte. Die Lage eskalierte! Ein Ausbesserungswerk wurde wieder aufgesperrt, Mitarbeiter mußten eingestellt werden. Die Leidtragenden wie immer die Kunden bzw. diejenigen unter ihnen, die der Bahn nicht den Rücken gekehrt hatten. Angeblich bis Ende 2012! soll der  Betrieb wieder reibungslos in vollem Unfang möglich sein.

In diesem Zusammenhang ist auch ein Artikel in der Zeitung "Die Presse" höchst interessant:

Die Führungskräfte der Bahn wurden deshalb (Anm.: aufgrund der äußerst angespannten Budgetsituation) in einem internen E-Mail  angewiesen, nur noch jene Wartungsarbeiten sofort durchführen zu lassen, die der Sicherheit der Fahrgäste dienen. Reparaturen, die „nur“ den Fahrkomfort der Passagiere sichern sollen, seien aufzuschieben. Konkret heißt es in der Dienstanweisung, die der „Presse“ vorliegt:

• Kaputte Türen sind nicht etwa auszutauschen, sondern: „Defekte Außentüren sind abzusperren und zu kennzeichnen und tunlichst nur im Zuge von Planabstellungen zu reparieren, wenn sichergestellt ist, daß die für die Gewährleistung von Fluchtwegen erforderliche Anzahl funktionsfähiger Türen im Zugverband vorhanden ist.“

• Beschädigungen an Fenstern sind nicht auszubessern, sondern „zu tolerieren“, sofern die Sicherheit der Fahrgäste nicht gefährdet ist. Das ist aus Sicht der ÖBB nicht der Fall, wenn die Fenster zerkratzt sind oder zu „erblinden“ beginnen, wie es wörtlich heißt. Ebenfalls „zu tolerieren“ ist die optische Beeinträchtigung von Fußböden und Wandflächen – Verunreinigungen werden nur beseitigt, wenn die Gesundheit der Passagiere in Gefahr ist.

• Verschlissene Sitzflächen sind nicht auszutauschen. „Ein Tausch erfolgt erst bei der planmäßig dafür vorgesehenen Fristausbesserung.“ Mit anderen Worten: Ein Sitz ist dann abgewetzt, wenn er laut Buchhaltung abgeschrieben ist – nicht, wenn jeden Moment das Futter hervortreten könnte.

• Sind die Sitzflächen bereits beschädigt (etwa zerrissen), dürfen sie zwar repariert werden. Allerdings nur mit „sparsamsten Mitteln, auch wenn dadurch der optische Eindruck beeinträchtigt wird“. Das gilt allerdings nur für die 2. Klasse, in der „Business-Class“ sowie in der 1. Klasse dürfen kaputte Sitze umgehend ausgetauscht werden.

Uneingeschränkt durchgeführt werden alle Reparaturen an Klimageräten, Heizungen, WC-Anlagen, der Abteil- und Gangbeleuchtung sowie den Lautsprecheranlagen.

Wie mit Kunden umzugehen ist, die nicht gewillt sind, kaputte Türen, verschlissene Sitze und zerkratzte Fenster „zu tolerieren“, ist in einem weiteren Mail geregelt. Darin heißt es: Die Mitarbeiter der ÖBB sollten sich bei den Kunden für etwaige Beeinträchtigungen entschuldigen und im Anschluss daran darauf hinweisen, „dass alle Reparatur- und Wartungsarbeiten, die die Sicherheit des Fahrzeugs betreffen, natürlich ordnungsgemäß und zeitgerecht durchgeführt werden“. Aus „Gründen der Wirtschaftlichkeit werden Ausbesserungen aber vorübergehend gebündelt und nach sehr sparsamen Kriterien erfolgen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2008)
http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/422865/index.do?direct=424207&_vl_backlink=/home/wirtschaft/economist/424207/index.do&selChannel=

to be continued ...

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Bericht von: Dr. Michael Populorum, Chefredakteur DEEF;  Erstmals online publiziert: 25. April 2011; Ergänzungen: 10. Dezember 2011

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