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DEEF-Blog 2012: Schildbürgerstreich - ÖBB streichen einzige hochwertig IC-Verbindung in den Pinzgau > Tourismusschädigend, diskriminierend!

Autor: Dr. Michael Populorum, 28.10.2012

Davon war natürlich in der Pressekonferenz der ÖBB vor kurzem bei der Vorstellung des neuen Salzburger Fahrplans 2013 nicht die Rede, da wurde lobgehudelt daß man ab Dezember mit dem Railjet nun noch schneller von Wien in Salzburg ist und dass es neue tolle Angebote von Salzburg nach Graz gibt. Erstere Meldung ist natürlich zu Recht eine Erfolgsmeldung, auch wenn es mir wie zahlreichen anderen qualitätsbewußten Bahnreisenden nicht um ein paar Minuten auf oder ab bei der Fahrzeit geht, da zählen schon andere Punkte wie die Bequemlichkeit mindestens genauso viel.

Und zweite Meldung ist natürlich relativ zu sehen, stellt sie ja nur ein Zurückrudern vom krassen Fehlentscheid vom letzten Jahr dar, wo offenbar wider besseres Wissens und mit Belügung der Öffentlichkeit und der Kunden durch Ministerin Bures und Vorstandsvorsitzenden Kern (auch der ORF hat sie der Lüge überführt) jeder zweite Zug von Salzburg nach Graz gestrichen wurde. Die großartige Verbesserung stellt also nur den status quo von 2011/12 wieder her.

Besagte einzige höherwertig Verbindung von Wien über Salzburg, Zell am See, Kitzbühel, Wörgl nach Innsbruck mit dem IC 542 (ab Salzburg 10.15), die sich seit der Einführung von ein paar Jahren sehr gut entwickelt hat, ist nun offenbar das nächste Opfer der planlos agierenden Managerriege der ÖBB PV AG aus Wien.

Die Fakten:

War der Pinzgau mit seinen Top-Tourismusdestinationen in den glorreichen Zeit des NAT 91 (Neuer Austrotakt) im 2 Stunden-Takt an das hochwertige IC-Netz angeschlossen, so folgte danach ein Kahlschlag und man konnte von Salzburg nach Zell am See keinen durchgehenden hochwertigen Fernverkehrszug mehr nutzen. Vor einigen Jahren nun besann man sich eines Besseren und führte zumindest 1 tägliche Direkt-Verbindung von Wien über Salzburg in den Pinzgau und weiter über Kitzbühel nach Wörgl bis nach Innsbruck ein. Da ich selbst den Zug sehr oft zum Arbeiten nutz(t)e und dabei mehrmals die Woche den IC 542 ("Skicircus Saalbach Hinterglemm Leogang")  sowie den Retourzug IC 649 ("Hotel Ibis") hinsichtlich der Belegungszahlen beurteilen kann, möchte ich hier vermerken, daß etwaige Behauptungen, der Zug sei nicht ausgelastet, Lügen sind (siehe Salzburg - Graz 2011/12).

Als erstes sehe ich es grundsätzlich als minimalstes Grundangebot an, von der Landeshauptstadt Salzburg zumindest 1 tägliches höherwertiges Zugpaar in den Pinzgau anzubieten. Zum zweiten nutzen den Zug sowohl Einheimisch wie Touristen recht zahlreich. Ich weiß nicht inwieweit man in den Tourismusdestinationen Zell am See, Kaprun, Saalbach, Leogang, Fieberbrunn, Kitzbühel etc. schon registriert hat, daß inländische wie ausländische Gäste gerne mit dem Zug anreisen und dass es da noch ein deutliches Steigerungspotential gibt. Ich habe jedenfalls regelmässige Touristenströme im Kontext mit diesem IC beobachtet, nämlich wie folgt:

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Tagesausflügler (Sommer wie Winter)

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Inländische Gäste, die den IC von Wien oder Salzburg aus nutzen und in der Region nächtigen

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Bspw. in den Winterferien massenhaft junges Publikum mit Snowboards in diesem Zug (sind tw. schon vor Salzburg Hbf in diesem Zug, also von Osten kommend). Destination primär Zell am See und Kitzbühel

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Arabische und russische Gäste, die von/nach Zell am See bzw. Kitzbühel reisen. Nutzen den IC auch als Zubringer von Zell nach Wörgl mit Anschluß an den EC nach München (Flughafen)

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Natürlich zusätzlich Einheimische, Pendler, Schüler

Statt diesen IC-Verkehr auszubauen und ggf. die Züge mit einem Speisewagen zu versehen (die läßt man lieber in Wien West bzw. Meidling vergammeln) wird nun diese wichtige IC-Verbindung wochentags gestrichen. Das entbehrt jeder ernstzunehmenden Grundlage.

Zählungen der Zugbegleiter ergeben folgendes durchschnittliche Passagieraufkommen, wobei KEIN Unterschied zwischen Werktagen und Wochenende festzustellen ist:

Aufzählung

IC 542 fährt mit durchschnittlich 120 Passagieren in Sbg Hbf ab (unabhängig vom Wochentag)

Aufzählung

In Zell am See sind ca. 150 Personen an Bord, wobei dort ca. 30 aus- aber auch mindestens soviele wieder einsteigen

Aufzählung

in Kitzbühel steigen mindestens 30 Personen ein

Aufzählung

Viele Touristen (Araber, Russen, Deutsche…) nutzen den IC 542 von Zell und Kitzbühel als Zubringer zum EC nach München (Anschluß in Wörgl). Auch die 1. Klasse ist da lt. meinen eigenen Beobachtungen sehr gut bevölkert

Aufzählung

In Wörgl hat der IC 542 ca. 200 Passagiere

Aufzählung

In Innsbruck kommt der IC 542 durchschnittlich mit 220-250 Passagieren an

Der Zug wendet ja in Innsbruck und fährt eine halbe Stunde später als IC 649 „Hotel IBIS“ über Zell am See-Sbg. nach Wien West.

Meine laufenden Beobachtungen dort unter der Woche:

Aufzählung

Der IC 649 ist in der 2. Klasse ab Ibk. Hbf. regelmässig derart überfüllt, daß die Leute (u.a. viele Schüler, Studenten, Pendler die den schnellen Zug nach Jenbach, Wörgl und sicher auch weiter Richtung Kitz nutzen), daß die Leute am Gang stehen oder vor den WC sitzen bzw. vor den Klos in der 1. Klasse stehen.

Ab Dezember 2012 soll der IC von Salzburg über Zell am See nach Innsbruck und viceversa nur mehr am Samstag und am Sonntag fahren. Da bahnt sich also der nächste Schildbürgerstreich und Rohrkrepierer der ÖBB PV AG an. Und das Ganze passiert still und heimlich - sowas wäre wohl in der Schweiz undenkbar. Dort würde das Thema vorab offen diskutiert werden und am runden Tisch mit Vertretern der Region und den Touristikern eine Lösung gesucht werden. Nicht so hierzulande - da dürfen die Regionen wohl nur ihre Steuern an den Wasserkopf Wien entrichten aber für ihren einzigen direkten Zug können sie vorab nicht mal betteln gehen da sie offenbar davon nicht in Kenntnis gesetzt sind.

Es bleibt zu hoffen, daß Regionalpolitiker wie Tourismusmanager bis hin zum Hotelier das Potential der Eisenbahn für die Gästebringung erkennen und sich mit dem notwendigen Druck auf die Staatsbahnmanager für einen nachhaltigen Fremdenverkehr stark machen. Die Qualität des öffentlichen Verkehrs in die und in der Region wird hinkünftig ein wesentliches Erfolgs-/Misserfolgs-Kriterium beim Wettstreit um die Gäste sein. Es gilt also, daß sich Politiker (allen voran die beiden Verkehrsreferent von Tirol und Salzburg, alle Bürgermeister), Touristiker, unanhängige Verkehrsexperten sowie die ÖBB als EVU zusammen an einen Tisch setzen und gemeinsam ein zukunftsträchtiges Modell entwickeln, proaktiv und kreativ an einer Verbesserung arbeiten und nicht wie im gegenständlichen Fall, wo das EVU ÖBB still und heimlich ohne Information das Angebot verschlechtert. Das ist ein Schildbürgerstreich, tourismusschädigend und diskriminierend für die gesamte Bevölkerung der betroffenen Gemeinden und Regionen.

Nota bene:

Befremdend ist in diesem Zusammenhang auch, wie die angeblichen "Qualitätsmedien" und die angeblichen "Fahrgastvertretungen" mit der Thematik umgehen - sie druckten unreflektiert und willfährig die Pressejubelmeldungen der ÖBB ab. Dieses "copy" & "paste" hat meiner Meinung nach nichts mit Qualitätsjournalismus zu tun. "Copy & paste" setzt DEEF auch weiterhin "Glasnost" & "Perestroika" als Qualitätsmerkmal für seine geschätzte Leserschaft entgegen!

Herr Dr. Wilfried Helliger, 5020 Salzburg, hat geantwortet:

Sehr geehrter Herr Dr. Populorum,

Ich kann den Inhalt Ihres Beitrags nur voll und ganz unter unterstreichen. Mit ist nur mehr als unverständlich, dass die Verkehrsreferenten der Länder Salzburg und Tirol bzw. die Tourismusmanager von Zell am See, Saalbach, Saalfelden, Kitzbühel usw. diesem Unfug offensichtlich tatenlos zusehen. Die jetzt auf der Strecke Salzburg-Wörgl fahrenden REX-Züge sind absolut "komfortfrei", d,h. ohne 1.Klasse und ohne Buffettdienst. Mit dem bisherigen IC 542 bzw. IC 649 hatte man wenigstens noch eine höherwertige Verbindung mit entsprechenden Fernverkehrswagen und Bordservice.

Ab Dezember wird man also von Salzburg überhaupt keine Möglichkeit mehr haben per 1.Klasse nach Zell am See, Kitzbühel oder weiter nach Innsbruck zu fahren. Wozu leiste ich mir eine ÖSTERREICHcard 1. Kl., wenn ich z.B. von hier fast drei Stunden in einem - oft außerdem kalten und ungemütlichen alten Schlierenwagen - z.B. nach Kirchberg/T. bummeln muss, einem Zug, der ab Saalfelden in sämtlichen Stationen hält? Das ist Öffi-Mittelalter!!

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren Bemühungen. Viele maßgebliche Herrschaften scheinen ja noch zu schlafen. Wecken Sie sie auf!!

Mit lieben Grüßen

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Bericht von: Dr. Michael Populorum, Chefredakteur DEEF;  Erstmals online publiziert: 28. Oktober 2012; Letzte Ergänzung: 30.10.2012

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Last modified  Samstag, 02. Mai 2015 11:23:43 +0200
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